Talente gewinnen, fördern und erhalten
Artikel erschienen im Career Starter, 13. Ausgabe 2009.

Talente gewinnen, fördern und erhalten

Von Professeur Norbert Thom, Universität Bern, Institut für Organisation und Personal (IOP)

Talente sind Personen, die schon jetzt Beachtliches leisten und denen wir in Zukunft noch mehr zutrauen. Talente gibt es in allen Berufsgruppen und bei Absolventen aller Ausbildungswege. Für Unternehmen ist die Talentfindung und –bindung eine wichtige Aufgabe. Wie diese zu managen ist und was die Talente von den rekrutierenden Unternehmen erwarten, wird im folgenden Artikel dargestellt.  

Talentierte Hochschulabsolventen gewinnen

Aus empirischen Studien bei fortgeschrittenen Studierenden der Wirtschaftswissenschaften wissen wir, welche Aspekte bei der Wahl der Erststelle nach Studienabschluss besonders bedeutsam sind. Ganz vorne steht immer der Arbeitsinhalt. Er soll heraus­fordernd und sinnstiftend sein. Kaum weniger wichtig ist das gute Arbeitsklima. Eine hohe Attraktivität geniesst auch das Ausbildungs­angebot des ersten Arbeitgebers. Ähnliche Attraktivitäts­werte haben folgende Aspekte: die Vereinbarkeit der Arbeitsbelastung mit dem angestrebten Privatleben, die weiteren Karriere­möglichkeiten, die gelebten Werte der Unternehmenskultur und die am Arbeitsplatz ermöglichte Selbstständigkeit.

Auch die vordergründig kreativsten Werbebotschaften nützen nichts, wenn die Arbeitgeber nicht Stellenangebote bieten können, die solchen Erwartungen der talentierten Hochschulabsolventen entsprechen. Natürlich sind solche Absolventenbefragungen von Zeit zu Zeit zu wiederholen, weil sich die Rangfolge der Erwartungen ändert. Beispielsweise ist die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben (Work-Life-Balance) erst in den letzten Jahren von den Studierenden so hoch positioniert worden.

Das eigene Stellenangebot muss zielgruppengerecht präsentiert werden. Wer heute nicht ein attraktives Electronic Recruiting entwickelt hat, gerät bei der Zielgruppe der Hochschulabsolventen schnell ins Hintertreffen. Neben rascher Auffindbarkeit, ansprechender Gliederung der Informationsinhalte und benutzerfreund­lichen Navigationshilfen ist der Informationsinhalt im Internet von grösster Bedeutung. Zusätzlich zu generellen Informationen über Produkte, Geschäftsfelder, Organisationsstrukturen und Standorte sind vor allem die Informationen zum Human Resource Management (z. B. Arbeitszeitmodelle, Komponenten des Vergütungssystems) sehr nachgefragt. Die Hochschulabsolventen wollen wissen, wer ihr Ansprechpartner ist, an welchen Messen und Hochschultagen sich der Arbeitgeber präsentiert und mit welchen konkreten Stellenangeboten sowie Einarbeitungsprogrammen sich ein Arbeitgeber am Arbeitsmarkt von seinen Konkurrenten vorteilhaft differenziert. Jeder Arbeitgeber ist nur einen Mausklick von seinen Konkurrenten entfernt.

Talente im Unternehmen fördern

Es gibt verschiedene Möglichkeiten des Berufseinstiegs (z. B. als Sachbearbeiter, Nachwuchskraft in Fachstäben oder Assistent einer Führungskraft). Als besonders attraktiv haben sich Trainee-Programme erwiesen. Sie bestehen im Prinzip aus einer on-the-job-Komponente in Form von Mitarbeit in verschiedenen Fachabteilungen oder Projekten sowie einer off-the-job-Komponente durch Schulungs­angebote über Firmenspezifika, Arbeitsmethoden, Management­instrumente etc. Dabei überwiegt die praktische Mitarbeit sehr deutlich (etwa 80 % der gesamten Trainee-Programmdauer). Es gibt zahlreiche Varianten von Trainee-Programmen, die hier nicht dargestellt werden können.

Anziehungsstarke Trainee-Programme weisen gewisse Merkmale auf, die im Folgenden kurz erwähnt werden. Viele Hochschulab­solventen schätzen die Chance, während des Trainee-Programms für einige Monate im Ausland zu arbeiten (z. B. an einem konkreten Projekt, auf keinen Fall nur als ein beobachtender Gast). Für die Trainees gibt es während der ganzen Ausbildungszeit (z. B. 18 Monate) eine gesamtverantwortliche Ansprechperson (Trainee-Programm-­Koordinatorin). Für die regelmässige Beurteilung der Trainees (z. B. vier bis sechs Mal im ganzen Programm) gibt es klare Regeln (z. B. ver­ständlich formulierte Beurteilungskriterien, Feed­backprozeduren). Ein gutes Trainee-Programm ist immer in ein umfassendes Personalent­wicklungskonzept integriert. So können Trainee-­Programme z. B. eine Voraussetzung für eine Führungs-, Fach- oder Projektkarriere sein. Oft wird erst am Ende der Trainee­ausbildung entschieden, was der nächste Laufbahnschritt sein soll.

Ein leistungsfähiger Trainee-Programm-Anbieter erarbeitet sich Informationen darüber, was aus seinen Talenten z. B. drei oder fünf Jahre nach Programmabschluss geworden ist (Verweildauer, Karriereerfolg).

Talente dem Unternehmen erhalten

Gehen wir nun davon aus, dass sich die vormaligen Trainees inzwischen in verschiedenen Positionen bewähren und nach wie vor ein Potenzial für weitere Entwicklungen in den verschiedenen Karrierepfaden aufweisen. Nach den erheblichen Investitionen in die Gewinnung und Förderung dieser Personen, ist es ein Gebot der ökonomischen Klugheit, diesen Talenten ein Arbeitsumfeld zu bieten, das ihre Leistungskraft dem Unternehmen für eine angemessene Verweildauer erhält. Was „angemessen“ ist, hängt von den Berufsgruppen und Branchen ab. Dennoch ist erstaunlich übereinstimmend, was besonders leistungsfähige und talentierte Personen von ihren Arbeitgebern erwarten.

Wiederum ist der Arbeitsinhalt von herausragender Bedeutung, und zwar noch stärker als bei den Studierenden hinsichtlich der Erststelle in der Arbeitswelt. Neben Abwechslungsreichtum und Sinngebung ist es wichtig, dass die Tätigkeit eine echte Bedeutung für das Unternehmen hat, genügend Handlungsspielraum gewährt wird und die persönlichen Kompetenzen dem Anforderungsprofil stark entsprechen. Weiterhin wünschen sich die talentierten Personen Vorgesetzte, die ihnen Entwicklungsmöglichkeiten bieten, delegieren können und Vertrauen gewähren. Das kollegiale Umfeld ist wichtig. Ein Talent möchte in der Regel nicht der einzige gute Spieler in seinem Team sein, vor allem jedoch nicht durch das Mittelmass seiner Kollegen zurückgebunden werden. Auch sehr wichtig, aber nicht an der Spitze aller Gründe zum Verbleib stehend, ist das Gehalt, das persönliche materielle Vergütungspaket. Es muss am relevanten Arbeitsmarkt konkurrenz­fähig sein (z. B. nach Funktionsbereich, Hierarchiestufe, lokalen Vergleichswerten). Mit Geld alleine wird man ein echtes Talent jedoch nicht halten können. Es müssen die vorgenannten Aspekte (Tätigkeit, Vorgesetzte, Kollegen) immer im hohen Masse erfüllt sein. Ansonsten würden auf Dauer die persönlichen Qualifikationen (z. B. Zuwachs an fachlichen und methodischen Kompetenzen) und die motivierende personelle Umgebung leiden. Aus dem ehemaligen Talent würde eine primär geldgetriebene Person, die immer weniger wegweisende fachliche und menschliche Impulse zur Weiterentwicklung der Unternehmung leisten kann. In diesem Fall können wir nicht mehr von einem Talent im Sinne der anfangs genannten Definition sprechen. Der Talent-Status ist ohnehin kein garantierter Dauerzustand, sondern das Ergebnis einer sorgfältigen Potenzialbeurteilung, die jeweils nach mehreren Jahren erneut durchgeführt wird.

Abschliessend sei noch ein wichtiger Gedanke im Talentmanagement erläutert. Zwischen den bereits genannten Karrieremodellen soll es eine Durchlässigkeit geben. Es ist gut denkbar, dass z. B. ein Mitarbeiter, welcher bisher die Projektkarriere verfolgt hat, zukünftig in die Stufen der Fachkarriere oder der Führungslaufbahn wechseln möchte. Solche Wechsel sollten zugunsten der Mitarbeitermotivation gefördert werden. Wichtig sind auch klare Aufstiegsbedingungen und -qualifikationen innerhalb der Karrieremodelle. Bei kleinen Unter­nehmen werden selten mehrere Karrieremodelle gleichzeitig angeboten. Auch ohne standardisierte Karrierewege sind hier flankierende Massnahmen wie z. B. Job-Rotation, Job-Enrichment, Job-Enlargement oder vereinzelte Projekteinsätze denkbar. Die talentierten Personen – als Zukunftsträger des Unternehmens – sollten unbedingt die Vision und Strategie des Unternehmens kennen und sich damit identifizieren können. Dies gilt auch für die Werte der Unternehmenskultur. Widersprüche zwischen offiziell verkündeten und tatsächlich gelebten Werten fallen den talentierten Personen überdurchschnittlich schnell auf. Sie haben darüber hinaus ein stark ausgeprägtes Informationsbedürfnis und wollen z. B. die zukünftigen Strukturen und Prozesse im Unternehmen frühzeitig erfahren und verstehen können.

Die Talente erhalten im Unternehmen viel Förderung, dennoch ist es möglich, dass sie als Erste das Unternehmen verlassen, weil die Anreizstruktur und das anspruchsvolle Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht nicht mehr stimmen und sie eine hohe Arbeitsmarktfähigkeit aufweisen. Es ist wichtig, den vom Unternehmen definierten Talenten ihre Position und internen Aufstiegsmöglich­keiten zu erläutern und sie als dem Unternehmen wichtige Mitarbeitende anzusprechen. Zur Motivation der betroffenen Talente bedarf es unbedingt der intensiven Pflege dieses Pools: Den Mitarbeitern muss klar kommuniziert werden, für welche Stelle sie in der Anwärterposition sind und in welchem Zeitraum ein Stellen­wechsel ins Auge gefasst wird. Dabei ist Anspruchs- oder gar Kronprinzendenken zu vermeiden. Es geht nur um Chancen, aber nicht um Aufstiegsgarantien. Jede neue Entwicklungsstufe ist nur bei Bewährung in der vorherigen erreichbar.

Hinweis:
Das IOP forscht und publiziert im Bereich des Talentmanagements. Weitere Informationen finden Sie auf: www.iop.unibe.ch.

Literaturhinweis:
Thom, Norbert / Friedli, Vera, Hochschulabsolventen gewinnen, fördern und erhalten, 4. Auflage, Bern/Stuttgart/Wien 2008.

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