Die Assessment Centres (AC) werfen bei Unternehmen und in der Öffentlichkeit
eine Menge Fragen und vorstellungen auf, die nicht immer klar sind.
Mitunter erscheinen sie uns als Instrumente zur Bewertung, wer fähig
ist, etwas auf eine bestimmte Weise in einem bestimmten beruflichen
Umfeld zu erledigen. Mitunter betrachtet man das Assessment Centre
als eine organisierte Auslese, welche erlaubt, die besten Elemente
anlässlich einer Fusion oder einer internen Reorganisation
auszusuchen, aber auch als eine Form persönlicher Bilanz des
Verhaltens oder der beruflichen Fähigkeiten.
Assessment Centre (englisch) setzt sich zusammen aus zwei sprachlichen
Komponenten. Assessment heisst schätzen, taxieren und vor allem
bestimmen der Fähigkeiten, des Stils der Aktionen und des Potentials.
Centre enthält die Strukturen des Zusammentreffens, der Versammlung
sowie der Wechselbeziehungen und der Organisation. Verbunden stellen
die zwei Komponenten in Wirklichkeit den Zeitraum und den Ort dar,
der die Beobachtung durch Dritte des professionellen Verhaltens
der Menschen in Gruppen gestattet, unter Berücksichtigung von
Kriterien, die im Zusammenhang mit einer gewissen Zielsetzung im
voraus bestimmt wurden. Es handelt sich dabei bloss um eine primäre
Definition, da das AC eine ganze Menge von Modalitäten abdecken
kann, je nach Bedarf und Geschäftskultur. Spricht man heute
von Assessment Centre, so handelt es sich um Sessionen mit einer
Dauer zwischen einem und fünf Tagen, die sich meist ausserhalb
des Betriebs abspielen. Sie bezwecken, eine möglichst objektive
Beobachtung der Kandidaten zu ermöglichen, und zwar in Situationen,
die der beruflichen Realität entsprechen.
Mehrere Kandidaten, mehrere Beobachter, verschiedene Methoden und
Dimensionen oder Fähigkeiten werden vereinigt mit dem Ziel,
den Kandidaten eine integrierte Information abzugeben.
Das angestrebte Hauptziel besteht in der Entscheidungshilfe beim Rekrutieren,
bei Beförderungen oder Neuorientierungen, beim Management einer
Neuorganisation, bei einer Karrierenentwicklung, verbunden mit einer
entsprechenden Ausbildung und Aussicht auf eine gezielte Kompetenzerweiterung.
Bei diesem letzten Fall handelt es sich ganz spezifisch um ein Development
Centre. Ebenso, wenn es darum geht, bei Mitarbeitern einer Firma auf
diese Weise bestimmte Globaldimensionen zu suchen und zu analysieren,
wird die Bezeichung diesen Faktoren direkt Rechnung tragen, wie z.B.
Leadership Development Centre für die Managerschulung (SITA).
Das sogenannte individuelle Assessment besteht aus kombinierten psychometrischen
Analysen, sozioprofessionellen Fähigkeitstests, Selbstbeurteilung,
Gesprächen mit Spezialisten, all das dazu bestimmt, sich eine
abschliessende Meinung über den Kandidaten zu beschaffen. Es
gibt Unternehmen, die ein individuelles Assessment bei einer Kaderwahl
oder einer beruflichen Neuorietntierung in Betracht ziehen, vorausgesetzt,
dass der Kandidat damit einverstanden ist.
Die Anwendung dieser Beobachtungen im Rahmen simulierter Situationen
erreichte uns progressiv aus den Vereinigten Staaten und in Europa
vor allem aus England und Deutschland, wo Armee und Industrie mit
einem dringenden Bedarf an zukünftigen Kaderangehörigen
konfrontiert war. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Management
als Antriebskonzept der Unternehmensführung entwickelt und konsolidiert,
um den Firmengründungen und den neuen Bedürfnissen zu genügen.
Ende der Achtzigerjahre erlebten die AC ihren grossen Aufschwung,
nachdem einige Grossunternehmen sie bereits in den Siebzigerjahren
eingeführt hatten. Nach einigen Enttäuschungen bei der
Anwendung, hervorgerufen durch eine langsamere Entwicklung der Strukturen
in Europa, haben sich die AC schlussendlich
durchgesetzt. Die Methode wird heute als zuverlässig betrachtet
für die Analyse und die Bewertung des beruflichen Verhaltens
und des Potentials von Individuen in einer gegebenen Umgebung. AC
wird intern oder mit Hilfe externer Spezialisten angewandt. Die
Fortschritte in der Methodik ermöglichten eine praktische Anpassung
an kulturelle und sprachliche Verschiedenheiten, entsprechend den
wachsenden und unterschiedlichen Bedürfnissen der Unternehmen.
Die AC wurden oft ein wichtiges Element des Personalwesen-Managements,
integriert in die globale Strategie des Unternehmens: Diese Investition
des Unternehmens in seine menschlichen Ressourcen wird allgemein
als ein Zeichen von Dynamik betrachtet.
Wenn auch Privatunternehmen, Multinationale und vor allem bedeutende
Dienstleistungs-Grossunternehmen als erste das Assessment Centre eingeführt
haben, ist es interessant , bei gewissen internationalen Organisationen,
und zwar sowohl Nichtregierungs-Organisationen als auch bei öffentlichen
Diensten eine eindeutige Entwicklung in gleicher Richtung festzustellen.
Die KMU oder die Start-ups finden darin ebenfalls ein Instrument zur
Bewältigung ihres Wachstums und zur Lösung der Geschäftsführungs-Probleme,
welche dieses mit sich bringt. Mehr und mehr Kaderangehörige,
welche ihre Karriereplanung selbst in die Hand nehmen, verlangen spontan
ein individuelles Assessment, oft gefolgt von einem Coaching. Erwähnen
wir schliesslich noch, dass bestimmte Berufs- und Managementschulen
ihren Studenten eine weniger anspruchsvolle Version als vorstufe zum
Schritt ins eigentliche Berufsleben anbieten.
Die Assessment Centres werden auch mehrschichtige Bewertungen
genannt, weil sie ein mehr oder weniger breites Spektrum von Methoden
anwenden, um möglichst viele Informationen zu kriegen. Im Vergleich
mit andern Einzel-Methoden erreicht man damit eine gute Erfolgsrate
(0.65) bei der voraussage der
Anpassungsfähigkeit eines Kandidaten an eine bestimmte Berufstätigkeit.
Von den bei einem AC anzuwendenden Methoden erwähnen wir: Anstellungsgespräch
mit CV, Persönlichkeits-Profil oder Neigungen, Fragen betreffend
den Umgang mit Zahlen und sprachlichem Ausdruck, psychometrische
Analysen, Arbeit und Diskussion in der Gruppe, öffentliche
Präsentationen, schriftliche Arbeiten, Fallstudien, Simulation
von realen Situationen im Management und/oder im Krisenfall (business
games), Selbstbewertung vor und nach AC, Beurteilung durch Seinesgleiche,
Beobachtungen der Bewerter.
Wesentlich ist, dass diese Informationen in Bezug auf das vorgängig
festgelegte Kompetenzniveau zur Übernahme einer Stellung in
einem spezifischen Umfeld gebracht werden. Die gesuchten Fähigkeiten
(oder Dimensionen) hängen ab vom Firmentyp, dem Arbeitsplatz
und der Umgebung. Oft genannt werden Definitionen wie strategisches
Denken, Erarbeiten von Konzepten, Führungsqualitäten,
Kommunikation, zwischenmenschliche Beziehungen, Motivation/Mitverantwortung,
Konflikt-/Problemlösung, Beschlussfassung, Realisation, Anpassungsfähigkeit,
Stressbelastungstoleranz, emotionale Intelligenz, Kreativität,
Selbständigkeit.
Die Matrix der Übungen und erforschten Kompetenzen entspricht
den Bedürfnissen des Unternehmens. Sie wird sehr verschieden
ausfallen, je nachdem ob es sich um die Rekrutierung von jungen
Universitäts-Absolventen oder ob es sich im Gegenteil um die
Bewertung von zukünftigen Mitgliedern der Direktion handelt.
Teile des AC können in gewissen Fällen auch technische
Kompetenzen enthalten (Finanz, Marketing, Engineering, Projektmanagement,
Qualitätssicherung, etc.). Die Anzahl der erforschten Kompetenzen
bleibt bescheiden, im allgemeinen zwischen 5 und 10, die gleichen
für mindestens zwei Übungen. Die Beobachter sind gewöhnlich
Leute mit Linienfunktionen, des Personalwesens oder externe Berater.
Um organisatorische Probleme zu vermeiden, sollte die Teilnehmerzahl
auf max. 12 bis 15 Personen beschränkt bleiben.
Ein Assessment Centre setzt eine Methodik, geschulte Fachleute und
eine fehlerfreie Organisation voraus. Die Wechselbeziehungen zwischen
Kandidaten oder Teilnehmern, Beobachtern und Animatoren sowie beim
Sammeln von Informationen sind vielfältig. Ein professioneller
Animator und professionelle Logistik müssen für gute Stimmung
sorgen. Ein AC ist eine Visitenkarte des Unternehmens. Oft handelt
es sich um eine bdeutende finanzielle Investition, die sich auf
lange Sicht bezahlt macht.
Ein AC bringt doppelten Gewinn: der Kandidat erhält gewöhnlich
einen kompletten und transparenten Feed-back gestützt auf Beobachtungen
sowie eine Beurteilung seines Potentials. Er kann seinen Funktionsstil
erkennen. Dies wird ihm während seiner Laufbahn innerhalb des
Unternehmens ausserordentlich nützlich sein, z.B. zur eigenen
Leistungssteigerung oder um seiner Karriere eine andere Richtung
zu geben. Er kommt in den Besitz von äusserst wertvollen Informationen
über das Unternehmen und dessen Absichten betreffend interne
Geschäftsführung. Das Unternehmen endlich kommt zu zahlreichen
Informationen betreffend Potential und Stil seiner Mitarbeiter,
was ihm gestattet, eine Selektion zu treffen im Hinblick auf eine
optimale Geschäftsführung im Rahmen seiner Management-Strategie
. Das Unternehmen wird zudem seine Verantwortung gegenüber
seinen Mitarbeitern besser wahrnehmen können. Aber man muss
auch die Grenzen sehen: Ein Unternehmen, welches den Kandidaten
nach dieser Prüfung keine Informationen abgibt und nicht erklärt,
welche Verwendung die erhaltenen Informationen finden ( Datenschutz),
ist im ethischen Sinne des Vertrauens nicht würdig. Die Durchführung
eines AC in einer Krisensituation oder bei einer brutalen Selektion,
ohne Absicherung durch Coaching, korrektes Feed-back oder einer
späteren Förderung der Mitarbeiter im Rahmen einer Managementstrategie
des Personalwesens, kommt im Finanzjargon einem Negativ-Investment
gleich, ist aber auch dem Image abträglich. Sowohl
weiblichen wie männlichen Teilnehmern würde die Teilnahme
in schlechter Erinnerung bleiben. Gewisse Unternehmen haben sich
nicht für Acs entschliessen können oder haben wegen ihrer
internen Firmenkultur wieder darauf verzichtet, weil es nicht möglich
war, die Teilnehmer korrekt zu betreuen oder insbesondere bei kleinen
Unternehmen, weil die finanziellen Mittel dazu fehlen.
Nehmen wir das Beispiel der Industrien von Konsum-Massengütern,
bei welchen die Assessment Centres bei der Rekrutierung und der
Karriere-Entwicklung eine hervorragende Rolle spielen. Von diesen
wird den Hochschul-Absolventen eine Grundausbildung als management-trainee
angeboten, wie wir das bei British American Tobacco Switzerland.
AG (nachstehend BAT) in Lausanne feststellen konnten.
Madame Michelle Healy, Direktorin des Personalwesens von BAT, präzisiert,
dass die berufliche interne Anwendung des Assessment Centre eine
grundlegende Praxis darstellt, um motivierte Mitarbeiter anzuziehen,
auszuwählen und auch zu behalten. Dies ist umso wichtiger,
als BAT einen Grossteil seiner Stellen weltweit intern vergibt.
Zudem wirkt es sehr stimulierend für in dieser Richtung geschulte
Kaderangehörige, die Verantwortung für die Weiterentwicklung
ihrer nächsten Mitarbeiter zu übernehmen, bei gleichzeitiger
Förderung des Nachwuchses.
Yves Perrenoud, 25, Finance Management Trainee bestätigt, dass
sich sein Durchlaufen eines Rekrutierungs-AC in einem dynamischen
und gelösten Ambiente abspielte. Das hat ihm ermöglicht,
sich der Gruppe so zu zeigen, wie er wirklich ist. Gleichzeitig
erhielt er eine grosse Menge von Informationen über seinen
Arbeitgeber. Er wurde von BAT ausgewählt, aber hatte auch selbst
den Wunsch, in dieses Unternehmen einzutreten. Man muss selbst
herkommen ! Zeigen, wie man sich in der Gruppe entwickelt, natürlich
sein. Auch wenn unsere Stärken bei Gruppenarbeit bekannt sind,
müssen sie für die Beobachter sichtbar sein. Man kann
konstruktive Kritik anbringen, muss aber tunlichst vermeiden, gegenüber
anderen Teilnehmern arrogant zu sein.
Mehdi Cherif-Zahar, 28, zur Zeit Marketing Management Trainee, betätigte
sich während einigen Jahren als Journalist, bevor er seine
Studien abschloss und sich bei BAT im Herbst 1999 vorstellte. Nach
ersten Gesprächen, mündlichen und numerischen Logiktests,
wurde er mit vier andern Teilnehmern zum AC eingeladen. Es
war die interessanteste Gruppenarbeit, die ich erlebt habe, in einem
Klima von internem Wettbewerb, aber ohne Stress. Intellektuell gesehen
war es ein begeisterndes Erlebnis, aber abends war ich erschöpft!
Es ist wichtig, dass man seine Qualitäten offen zeigt, auch
wenn sie sich erst in der Entwicklungsphase befinden. Der Feedback
war komplett. Gewisse Kandidaten wählten das Unternehmen, weil
das AC professioneller als anderswo durchgeführt wurde. Meines
Erachtens muss man alles für eine Teilnahme daransetzen: Man
lernt sich selbst besser kennen und ist besser gewappnet für
die Zukunft, selbst wenn man nicht auserwählt wird.
Christophe De Figueiredo, 31, Marketing Training Manager, war als
Beobachter eines Rekrutierungs-AC tätig und wurde auf diese
Weise vom Wert dieses Instruments überzeugt. Es ist sehr
wichtig für Kandidaten, die ihre erste Stelle antreten. Wir
schulden ihnen ein Maximum an objektiven Informationen über
die Firma und sie selbst. Es handelt sich hier um Mehrwerte. Vom
menschlichen Standpunkt aus gesehen ist es äusserst interessant,
insbesondere wenn die ausgewählten Kandidaten Arbeitskollegen
werden: Beziehungen entstehen und hierarchische Relationen verflachen
sich. Betreffend das kürzlich absolvierte Development
Centre, welches ihm ermöglichte, seine Berufslaufbahn weiter
zu entwickeln, stellte er folgendes fest: Das Ziel an und
für sich besteht darin, mit Hilfe konstruktiver Kritik einen
Entwicklungsplan zu gestalten. Die Beobachter, in der Mehrzahl Mitglieder
der Direktion und der Personalabteilung, gewährleisten einen
konkreten feed-back zur Geschäftsleitung. Diese Art von Übung
sollte im Rahmen des Managements der Weiterentwicklung vermehrt
angewandt werden