Roberto Pucci
Vice President Human Resources Europe
Agilent Technologies
Work Life Balance. Bevor wir auf das Thema selbst eingehen, ist
es wichtig eine Definition zu wagen. In den meisten Unternehmen
bezeichnet der Ausdruck "Work Life Balance" das Gleichgewicht
zwischen Berufs- und Privatleben.
In den letzten 10 Jahren hat dieses Thema in den grösseren
Gesellschaften viel an Bedeutung gewonnen. Diese haben verstanden,
dass die Produktivität der Mitarbeiter mit ihrem persönlichen
Wohlbefinden eng zusammenhängt. In der Tat zeigt schon das
antike Sprichwort "mens sana in corpore sano", dass unsere
Epoche nichts erfunden hat und dass man schon früher die Notwendigkeit
eines Gleichgewichts zwischen Körper und Psyche erkannt hat.
Dem Begriff "Work Life Balance" ziehe ich eher «Work
Life Harmony» vor, denn dieser beschreibt eher die Gemütsverfassung,
mit welcher man dieses Thema angehen sollte.
Beim Begriff Gleichgewicht denkt man an etwas Mathematisches, ein
Verhältnis 50 zu 50, wobei die Harmonie ein viel persönlicheresKonzept
ist.
Jeder findet seine Harmonie in den Zielen, die er sich gesteckt
hat. Daher kann eine Person, die 10 bis 12 Stunden pro Tag arbeitet
sehr viel mehr im Einklang mit sich selbst sein, als jemand, der
nur Teilzeit arbeitet.
Es mag überraschend klingen, aber ich denke, dass die Arbeitsstundenzahl
nicht gezwungenermassen mit dem Begriff Worklife verbunden sein
muss. Jeder Arbeitnehmer ist für sich selbst verantwortlich,
der Arbeitgeber trägt diesbezüglich nicht die alleinige
Verantwortung.
Die in diesem Artikel ausgearbeiteten Konzepte basieren auf einer
mehr als 15-jährigen Arbeitspraxis in multinationalen amerikanischen
Firmen und sind somit nicht zwingend übertragbar auf andere
Betriebsmuster, obschon sicherlich einige Berührungspunkte
existieren.
Harmonie innerhalb des Unternehmens verläuft drei-achsig :
Eine Achse bildet der Angestellte, eine andere die Direktion (das
Management) und die dritte Achse bildet die Unternehmenskultur.
Diese Achsen werden stark vom wirtschaftlichen Umfeld geprägt.
Versuchen wir nun zu verstehen, welches die spezifischen Eigenschaften
einer jeden Achse sind:
Der Mitarbeiter
Der Mitarbeiter muss seine persönlichen und beruflichen Ziele
klar definieren und sie linear dem Unternehmenssystem gegenüberstellen.
Es mag banal klingen, doch ich habe allzu oft Situationen erlebt,
in welchen es Personen ungemein schwer fiel, Entscheidungen zu treffen.
Ich würde Ihnen gerne sagen, dass man ins Topmanagement einer
Firma gelangen kann, indem man 8 Stunden pro Tag arbeitet. Leider
ist dies nicht der Fall. Die wichtigen Posten werden meist nur erlangt
durch grosse persönliche Opfer, die Wahl einer Lebenseinstellung
und die Setzung von Prioritäten. Ich würde nicht soweit
gehen und sagen, dass die führenden Kaderstellen von vorneherein
ein gutes Lebensgleichgewicht ausschliessen, allerdings muss man
zugeben, je höher man in der Hierarchie steigt, desto schwieriger
sind diese Dinge handzuhaben. Dennoch habe ich wichtige Generaldirektoren
gekannt, die diese Harmonie gefunden zu haben schienen. Durch langjährige
Erfahrung im selben Posten, hatten sich diese Kader ihre Arbeit
auf ihren Lebensrythmus zugeschnitten.
Wenn man einmal von diesen Führungskräften absieht, die
meines Erachtens eine Ausnahme darstellen, so erscheint dieses «Ungleichgewicht
» zwischen Berufsleben und Privatleben häufig in der
gesamten Hierarchie eines Unternehmens aufzutauchen. Der Mensch
hat die Angewohnheit sich allzu häufig vereinnahmen zu lassen,
ohne zu argumentieren. Natürlich verlangt es sehr viel Mut
Widerspruch zu erheben, in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld,
wo das Damoklesschwert der Kündigung ständig über
einem schwebt. Das beste Rezept in einem solchen Fall ist immer
eine gute Peformance. Je besser der Mitarbeiter in seiner Arbeit
brilliert, desto flexibler wird das Management auf seine Nachfragen
bezüglich eines besseren Lebensgleichgewichts reagieren. Das
Schlüsselkonzept in dieser ersten Dimension ist eine gute Arbeitsleistung
und die Fähigkeit des Mitarbeiters, selbst verantwortlich zu
handeln und sich nicht in der Rolle des Opfers zu positionieren.
Die Unternehmenskultur
Ein gutes Gleichgewicht ist oft gleichbedeutend mit Flexibilität
in der Arbeitsorganisation, mit Autonomie und «Empowerment»
(die Einbeziehung der Mitarbeiter in die Ve r a n twortung), sowie
mit Vertrauen und Unternehmensführung mittels Zielsetzungen.
In einem Unternehmen, das die Führung mittels Zielsetzung in
dessen Unternehmenskultur integriert hat, ist das Resultat (Output)
der Massstab aller Dinge und nicht die verwendeten Mittel, die Methode
oder der Zeitaufwand (Input). Einige Jobs bringen selbstverständlich
und naturgemäss eine fixe Präsenzzeit mit sich (Empfang,
Kundendienst etc.). Die neuen Technologien (Fernarbeit, Videokonferenzen )
ermöglichen jedoch einen weit flexibleren Ansatz. Eine Unternehmenskultur,
welche die Zielsetzung stark integriert hat und welche die neuen
Technologien auch anwendet, bietet ein für die Entfaltung der
persönlichen Harmonie günstiges Arbeitsumfeld. Der leistungsfähige
Mitarbeiter wird in diesem flexiblen Umfeld leichter die privaten
und beruflichen Bedürfnisse miteinander kombinieren können.
Diese Kulturen setzen voraus, dass jedes auch noch so komplexe organische
System bessere Resultate erzeugt, wenn jede Komponente ihr natürliches
Gleichgewicht gefunden hat. Die Rolle des Mitarbeiters wird sozusagen
«holistisch», in ihrer Gesamtheit, gar manchmal patriarchalisch
betrachtet. Was zählt ist ein "glücklicher»
Mitarbeiter, motiviert und produktiv. In Zeiten von wirtschaftlichen
Unruhen werden solche Systeme jedoch stark auf den Prüfstand
gestellt. Die zielorientierte Führung wird durch Dirigismus
ersetzt, Eigenverantwortung wird durch top-down Kontrollen erstickt.
Nur in Strukturen wo man in den menschlichen Ressourcen einen Wettbewerbsvorteil
erkannt hat, können sich Work Life Programme günstig entfalten.
Das Management
Das letzte aber nicht weniger wichtige Glied in unserem Modell ist
das Management : Eine Führung, welche tatsächlich das
lebt, was sie auch vorgibt, welche aussergewöhnliche Wege akzeptiert
und Kreativität und Innovation in der Begleitung ihrer Mitarbeiter
fördert. Geht man von der Prämisse aus, dass jeder nur
das Beste von sich geben will, kann das Management eine maximale
Produktivität bewirken, indem ein für die persönliche
Entfaltung günstiges Klima geschaffen wird. Dies setzt eine
perfekte Führungsfähigkeit voraus. Die Mitarbeiter müssen
die Möglichkeit haben, sich mit «Role Models»,
mit Erfolgsbeispielen von Vorgesetzten, die in der Tat das umsetzen,
was sie auch von ihren Leuten verlangen, identifizieren zu können.
«Leading by example» heisst vorzuweisen, dass man im
Beruf erfolgreich sein kann, ohne seine Persönlichkeitssphäre
zu opfern. Man muss den Mitarbeitern die Möglichkeit geben,
ihre Kräfte durch ein gesundes Gleichgewicht wieder aufzubauen,
um ihre Kreativität und Produktivität aufblühen zu
lassen. Eigentlich ist das alles nur ein intelligentes Verwalten
der menschlichen Ressourcen. So schwer kann es doch nicht sein.
Hat der Mitarbeiter seine Ziele und Wünsche klar erfasst, ist
er in einem Unternehmen im Einsatz, das sehr auf das Management
durch zielsetzung (MBO) orientiert ist und verfügt er über
die Unterstützung seiner Vo rgesetzten, so wird er einen Arbeitsrythmus
aufnehmen können, der seiner Karriere dienlich sein wird ohne
auf eine gewisse Lebensharmonie verzichten zu müssen. Alle
Beteiligten können dabei nur gewinnen.