Der Arbeitsmarkt entspannt sich von Tag zu Tag
Das Schlimmste konnte auf dem Schweizer Arbeitsmarkt sicherlich verhindert werden – die Arbeitslosenquote sollte sich dieses Jahr bei ca. 3,5 % stabilisieren, obwohl im Januar noch davon ausgegangen wurde, dass diese sogar 5 % erreichen würde. Die Unternehmen beginnen zwar wieder mehr Leute einzustellen, und gemäss dem Bundesamt für Statistik ist die aktuelle Situation die Beste seit 18 Monaten, dennoch wäre Euphorie noch fehl am Platz.
Laut dem neuesten, diesjährigen Bericht des Instituts für Management-Entwicklung IMD über die welt-weite Wettbewerbsfähigkeit konnte die Schweiz ihre „Schokoladen-Medaille“ – den neidischen vierten Platz hinter den drei ersten Singapur, Hongkong und den USA – halten. Wie ist es der Schweiz gelungen, ihre Position zu festigen? „Sie hat die Krise besser bewältigt als die meisten der 58 von der Studie untersuchten Länder“, fasst das IMD zusammen. Als Hauptargument für die Schweiz wird eine Wirtschaftsleistung angeführt, die sich noch immer äusserst resistent gegen Konjunkturschwankungen zeigt. Die Tatsache, dass die Schweiz es geschafft hat, dank der Diversifizierung ihrer Aktivitäten und insbesondere dank der chemischen Industrie, den Schaden zu begrenzen, während die meisten ihrer Handelspartner einen gewaltigen Einbruch ihrer Exporte verzeichneten, wird im IMD-Bericht als Beweis für diese Resistenz betont. Die chemische Industrie litt weniger unter der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009 als die Maschinenindustrie. Eine weitere beruhigende Tatsache: Die relativ gute Gesundheit der öffentlichen Finanzen und die Qualität der grundlegenden tech-nischen und wissenschaftlichen sowie der Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur. Bei der Infrastruktur hat die Schweiz eine Position gut gemacht und befindet sich weltweit auf dem dritten Platz.
Die Schweiz wächst wieder
Zahlenmässig zeigt sich das in einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der Schweiz um 1,4 % für 2009, verglichen mit - 4,2 % in der Europäischen Union. Dieser Rückgang ist in der Westschweiz schwächer, nämlich - 0,9 %, wie eine kürzlich durchgeführte Studie der sechs Westschweizer Kantonalbanken, dem Institut Créa und dem Forum des 100 zeigt. Laut der Studie erwies sich die regionale Wirtschaft gegenüber der weltweiten Rezession und einem Rückgang des Westschweizer Finanzplatzes um 8,2 % als besonders resistent. Dies ist in erster Linie auf einen soliden Konsum im Jahr 2009 zurückzuführen, einem Jahr, in dem die Löhne im nationalen Vergleich durchschnittlich um 2,6 % anstiegen. Die Autoren der Studie betonen ausserdem die immer stärkere „quartäre“ Prägung der Westschweizer Wirtschaft, in der die Aktivitäten der Bereiche Innovation, Wissen und Hi-Tech 27 % des BIPs ausmachen.
Die nationalen Aussichten für den kommenden Monat spiegeln diese Widerstandsfähigkeit wider. In ihrer Frühjahrsprognose erklärt die Konjunkturforschungs-stelle der ETH Zürich (KOF), die Schweiz habe die Krise schneller als erwartet überwunden. Der Aussenhandel und der Konsum stützen das BIP, welches für das gesamte Jahr 2010 um 1,7 % wachsen sollte (+ 2,2 % für 2011). Im Dezember 2009 hatte man die Zunahme noch auf + 0,6 % geschätzt. Die Konjunkturexperten des Bundes folgen der KOF und präsentieren für die Schweiz nun ein deutlich erfreulicheres Bild als in ihren Prognosen im Dezember 2009. Sie rechnen mit einem realen Wachstum des BIPs von 1,8 % für das laufende Jahr (+ 1,6 % für 2011) und korrigieren damit ihre Prognose des Jahresbeginns von + 0,7 % deutlich nach oben.
Verringerung der arbeitslosenquote
Die gleiche Feststellung findet sich in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Zwischen Mitte 2008 und Dezember 2009 stieg die Arbeitslosenquote in der Schweiz von 2,6 % auf 4,6 %. Die Experten des Bundes erwarteten, dass dieser Prozentsatz in den ersten Monaten des Jahres 2010 sogar auf fast 5 % ansteigen würde. Alles deutet jedoch darauf hin, dass der Höhepunkt bereits erreicht wurde: Im Juli veröffentlichte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Statistiken, die eine Arbeitslosenquote von 3,6 % auswiesen, was einen Rückgang um 0,9 Prozentpunkte verglichen mit Januar bedeutet. Für das gesamte Jahr rechnet das SECO mit einer Arbeitslosigkeit von durch-schnittlich 3,9 % (3,7 % für 2011).
Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im SECO, erklärt die verglichen mit den USA weniger als halb so hohe Arbeitslosenquote wie folgt: „Die Schweiz ist eindeutig weniger in Bedrängnis geraten als andere Länder, da sie weder mit einer Immobilien- noch mit einer Kreditkrise konfrontiert war. In den Jahren vor der Krise wuchs die Schweizer Wirtschaft zudem deutlich und schuf mehr als 85’000 neue Arbeitsplätze pro Jahr. Dank dieser Progression sowie der Bevölkerungszunahme und des Lohnanstiegs, verzeichneten der Konsum und die Aktivität in der Baubranche ein solides Wachstum. Diese Dynamik hat sich während der Krise nur wenig verlangsamt. Die Industrie und einige Zulieferbranchen haben zwar unter dem noch nie da gewesenen Rückgang an Neubestellungen nach Herbst 2008 gelitten. Die Binnenwirtschaft hingegen wuchs weiter – dank einer Verbesserung der Auftragsbestände. Die Beschäftigungsquote ging deshalb 2009 nur leicht zurück (- 0,1 %).“
Umstrittene Revision der Arbeitslosenversicherung
Obwohl die Arbeitslosenquote der jungen Erwachsenen (15-24 Jahre) höher ist als der Schweizer Durchschnitt, hat die seit einigen Monaten zu beobachtende wirt-schaftliche Erholung dazu beigetragen, die Schwierig-keiten dieser Bevölkerungsgruppe auf dem Arbeitsmarkt etwas zu mildern: mit einer Verringerung der Arbeitslosenquote um 0,5% innerhalb eines Jahres und einer Stabilisierung im Juli bei 4,6%.
Das neue Arbeitslosengesetz, über welches am 26. September diesen Jahres abgestimmt wird und das helfen soll die Schulden in Höhe von 7 Milliarden Franken zu sanieren, könnte dennoch einen negativen Einfluss auf die Situation der neuen Absolventen haben. Es wurden unter anderem folgende Massnahmen beschlossen: 120 Tage Wartezeit für Personen nach einem Schul- oder Studien-abgang, Taggelder für maximal 200 Tage für Personen unter 25 Jahren (verglichen mit 400 Tagen nach dem alten Gesetz) und 90 Tage für beitragsbefreite Personen, also z. B. für Studierende. Eine weitere, nicht zu vernachlässigende Massnahme: Personen unter 30 sind neu dazu verpflichtet, ein Stellenangebot anzunehmen, selbst wenn dieses nicht in Verbindung mit ihrer Ausbildung steht.
Diese letzte Massnahme vermittelt „eine negative und paradoxe Botschaft“, erklärt Pierre Maudet, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugend-fragen. „Einerseits fördert man die Ausbildung und andererseits wertet man sie ab, indem man die jungen Arbeitnehmer – und nur sie – dazu zwingt, Stellen anzunehmen, für die sie überqualifiziert sind.“ Folgende Analyse des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements wird also nicht von allen geteilt: „Jugendliche (15-19-Jährige) und junge Erwachsene (20-24-Jährige) sind zwar schneller arbeitslos, finden aber auch rascher wieder eine Stelle. Die Revision des Arbeitslosenver-sicherungsgesetzes trägt diesem Umstand Rechnung.“
Sprachen – ein eindeutiges Plus
Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, dass sich die Jungen immer mehr für Zusatzausbildungen interessieren. Die Universität Lausanne z. B. verzeichnete 51 Anfragen dieser Art im Jahr 2000, letztes Jahr hingegen 334. Solche Weiterbildungen wurden bisher von der Arbeitslosenversicherung mitfinanziert. Oft handelte es sich dabei um Sprachkurse. Laut einer kürzlich erschienenen Studie, The Economics of the Multilingual Workplace, verdienen Westschweizer, die perfekt Deutsch sprechen, durchschnittlich 23 % mehr als ihre Kollegen in der gleichen Funktion ohne diese Sprachkenntnisse. Für Englisch beträgt die Differenz 12 %. Werden die Deutsch-kenntnisse als „gut“ eingestuft, wird dies im Lohn mit einer Erhöhung von 12 % berücksichtigt, bei Grundkennt-nissen sind es + 9 %. Für Deutschschweizer wird Englisch höher bewertet (+ 25 %) als Französisch (+ 15 %).
Zur Erinnerung: In der Schweiz lag der Bruttomedianlohn (die Hälfte der Beschäftigten verdient mehr, die andere Hälfte weniger) 2008 bei 5’823 Franken, wie eine alle zwei Jahre vom Bundesamt für Statistik durchgeführte Umfrage zeigt. Der Geschlechterunterschied besteht weiterhin, beträgt der Lohn doch durchschnittlich 6’248 Franken für Männer und 5’040 Franken für Frauen. Bei den hohen Einkommen liegt der Medianlohn bei 10’936 Franken (Männer: 11’362.-, Frauen: 8’931.-) – in diesen Bereich fallen Personen mit Universitätsabschluss. Nach Wirtschaftszweig betrachtet, bieten das Finanz- und Versicherungswesen die besten Löhne, gefolgt vom Unterrichtswesen, der öffentlichen Verwaltung, der Informatikbranche, der verarbeitenden Industrie und dem Gesundheitswesen. Am Schluss der Liste stehen Gartenbau, Forstwirtschaft und Gastgewerbe.
Inkongruenz zwischen den Sektoren
Das Jahr 2010 zeigt erste Anzeichen für eine Wirtschafts-erholung. Die meisten Schweizer Wirtschaftszweige konnten im ersten Quartal eine Aktivitätssteigerung feststellen, wie die von der KOF durchgeführte Konjunk-turumfrage zeigt. Der Bankensektor, der letztes Jahr durch die Probleme auf den Derivatemärkten und die Kritik am Bankgeheimnis stark in Bedrängnis geraten war, ist deutlich optimistischer eingestellt. Das Gleiche gilt für die Exportindustrie. Betrachtet man die Uhren-industrie, die letztes Jahr rund 4’000 Stellen streichen musste, ist zu erkennen, dass die Exporte in den ersten drei Monaten des Jahres im Jahresvergleich um fast 17 % angestiegen sind. Auch die Metallindustrie wächst wieder (+ 14,5 %), dicht gefolgt von der chemischen Industrie/Pharmaziebranche (+ 12,7 %). Nur die Maschinenindustrie steckt noch in Schwierigkeiten (- 2,5 %).
Wird diese Erholung zu einer Einstellungswelle insbesondere bei den Jungen führen? Laut Procter & Gamble umwerben die grossen Unternehmen weiterhin die jungen Talente in der Schweiz. Letztes Jahr, inmitten der Rezession, meldeten 25 % der Firmen Schwierigkeiten, in gewissen Bereichen wie IT, Management und Marketing Personal zu finden. Auf der Website emploi-en-suisse.com ist dies zu lesen. Die Credit Suisse kündigte letzten Dezember die Schaffung von 150 Lehrstellen, eine Investition von 30 Millionen Franken für die Ausbildung von Jugendlichen, sowie die Bereitstellung von Risikokapital in Höhe von 100 Millionen für KMUs und Jung-unternehmer an. Ernst & Young Schweiz sucht an die fünf- zehn verschiedene Profile und Nestlé mehr als vierzig. Eine Zahl, die bei Swatch bei über 100 liegt, bei Novartis sogar bei 322. Natürlich handelt es sich dabei um Stellen mit Spezialistenkompetenzen. Absolventen werden bei den multinationalen Unternehmen aber nicht von den Ein-stellungsprogrammen ausgeschlossen, im Gegenteil.
Was die KMUs betrifft, das Rückrat der Schweizer Wirt-schaft, sind die Perspektiven differenzierter: Laut dem UBS-Barometer vom August, haben die KMUs des Industriesektors eine leichte Verbesserung während der ersten 6 Monate erlebt, ganz im Gegensatz zu dem Tourismussektor, der eine Verschlechterung seiner Umsatzzahlen verbuchen musste.
Christophe Roulet
Freier Journalist