„Should I stay or Should I go?“
Artikel erschienen im Career Starter, 18. Ausgabe 2014.

„Should I stay or Should I go?“

Von Serge Panczuk, Vice President International Human Resources bei Edwards Lifesciences und Autor zahlreicher Bücher zum HR Marketing, HR Management, Karrieremanagement und der Net Generation

Karriere-Gestaltung ist ein Langfrist-Projekt. Der Ausgangspunkt ist meist klar, die Endstation aber bleibt immer eine grosse Unbekannte... Eine entscheidende Etappe auf dieser langen Reise ist für viele die Suche nach der ersten Stelle. Bei genauerem Hinsehen aber entpuppt sich diese Einstufung als irrig. Denn so wichtig die erste Stelle auch ist, wird einem mit der Zeit doch bewusst, dass sie für den weiteren Ablauf des beruflichen Werdegangs kaum eine Rolle spielt. Warum?

Weil die Welt der Unternehmen kompliziert und im stetigen Wandel ist und unsere Erwartungen so immer wieder zunichtemacht. Im Grunde ist diese Welt so komplex, dass sich permanent Karriere­chancen auftun und Türen schliessen. Unternehmen verschwinden vom Markt, werden aufgekauft, expandieren oder schrumpfen; sie wechseln das Kerngeschäft, das Land oder die Strategie. Diesem täglichen Druck können sich Arbeitnehmer nicht entziehen. Doch wenn man damit umzugehen weiss, wirkt er sich auf zweierlei Weise auf Karriereentscheidungen aus: selten NUR positiv und ebenso selten NUR negativ. Und das gilt umso mehr, je jünger die eigene Karriere ist.

Keine Panik also: Der weitere Werdegang wird durch den ersten Job nicht in Stein gemeisselt. Das ist die gute Nachricht. Denn das heisst, dass Sie sich ruhig irren dürfen. Die erste Stelle ist eine Phase der Entscheidung, des Austestens, der Einschätzung seiner Kompetenzen. Eine wichtige, aber nicht allesentscheidende Erfahrung.

Andererseits kann einem diese Tatsache aber auch Angst einjagen: Die Gestaltung des eigenen Werdegangs ist dadurch so, als sässe man am Steuer eines Autos auf einem kurvenreichen Weg, der den Fahrer immer wieder herausfordert, zumal die Sicht oft nebelverhangen ist. Eine Aufgabe also, die nicht immer leicht von der Hand geht und ein gehöriges Mass an Selbstbeherrschung, Kompetenz und Courage erfordert.

An seiner Karriere muss man daher Tag für Tag feilen und dabei vorausschauend denken, Entscheidungen treffen, Risiken eingehen und sich auf Erfolge und Fehler einstellen. Eines aber muss man immer im Griff haben: Man muss sich darüber im Klaren sein, warum, wann und wie man eine Stelle aufgibt oder ein Unterneh­men verlässt. Dieser Aspekt ist sehr viel wichtiger als die erste Arbeitsstelle.

Ihre „eigentliche“ Karriere beginnt erst dann, wenn Sie den ersten Job hinter sich lassen. Dann nämlich starten Sie Ihre Reise, Sie tun den ersten Schritt und stürzen sich ins Abenteuer. Zu diesem Zeitpunkt fällen Sie die „erste“ bewusste Karriereentscheidung – gestützt auf professionelle Gesichtspunkte, auf Erfah­rungen, auf Empfindungen, auf einen konkreten Willen.

Dieser Artikel soll Ihnen daher einige Fährten und zu beachtende Regeln aufzeigen, gleichzeitig aber anhand von Negativbeispielen skizzieren, wie Sie es nicht machen sollten! Nach der Lektüre sollten Sie Ihr berufliches Schicksal in die Hand nehmen und den ersten Schritt tun. Aber egal, was kommt: Bleiben Sie nie in Ihrem ersten Job!

Warum den Job wechseln?

Vorrangiges Ziel der Karrieresteuerung ist es meiner Ansicht nach nicht, in einem Unternehmen zu „wachsen“, mehr Ver­antwortung zu bekommen, mehr zu verdienen oder einen eindrucksvolleren Titel zu tragen. Oberstes Ziel muss es vielmehr immer sein, sich die Fähigkeit zu bewahren, Entscheidungen zu treffen.

Eine Karriere ist eine Aneinanderreihung von Situationen, in denen Sie Ent­scheidungen zu treffen haben, die man auch als Karrierechancen bezeichnet. Sie können positiv, manchmal aber auch negativ sein. Nun gibt es unter uns diejenigen, die in der Lage sind, solche Chancen zu erkennen und zu ergreifen, und die anderen... Sie müssen sich daher immer fragen: „Habe ich die Wahl?“ Müssen Sie diese Frage verneinen, sollten Sie sich Sorgen machen. Fällt Ihre Antwort positiv aus, sind Sie auf dem richtigen Weg.

Die erste Wahl, vor der Sie stehen, ist die der ersten Stelle. Aber damit legen Sie lediglich die Startlinie fest. Die wahre Ent­scheidung – die, von der abhängt, wie gut Sie wachsen, von der Stelle kommen und sich weiterentwickeln – ist der Entschluss, das erste Mal zu gehen. Die erste Kündigung ist daher ein Massstab für Ihre Ent­scheidungsfähigkeit. Denn so können Sie herausfinden, ob der „Markt“ Sie gebrauchen kann, ob Sie von „Wert“ sind, aber auch, ob Ihr Unternehmen oder Ihr Vorgesetzter gewillt sind, Sie umzustimmen.

Damit diese Entscheidung die gewünschte Wirkung hat, muss sie in einem positiven Gemütszustand gefällt werden. Das heisst, sie muss in erster Linie Ihrem Wunsch, sich weiterzuentwickeln, Ihrer Wissbegierde, Ihrem Entdeckergeist ent­springen. Man gibt einen Job oder ein Unternehmen nicht auf, um einer Situation zu „entfliehen“, sondern um „sich auf den Weg zu machen“ zu anderen Ufern. Eine negative Motivation (kurz gesagt: „Ich gehe, weil ich es satt habe.“) ist nur selten ein guter Ratgeber. Mag sie sich als Auslöser auch eignen, der einzige Beweggrund sollte eine solche Einstellung niemals sein.

Die Gründe für einen Ausstieg ähneln sich in vielen Fällen:

  • die Lust auf „etwas Neues“
  • der Drang, sich einer anderen Realität zu stellen
  • eine Beförderung oder neue Funktion
  • Umorientierung
  • persönliche Gründe

Man sollte sich immer bewusst machen, dass man – egal, in welcher Situation man sich befindet – mit einem Weggang das Bekannte gegen das Unbekannte eintauscht. Bestimmt werden auch Sie im Laufe Ihrer Karriere am „Anderswo ist alles besser“-Syndrom leiden. Das kennen wir alle. Man glaubt, das Gras auf der anderen Seite sei grüner. Doch eins steht fest: Das gilt nur in den seltensten Fällen.

Das Gras auf der anderen Seite mag durchaus eine andere Farbe haben, das perfekte Unternehmen aber, das gibt es nicht oder nicht mehr. Eine Karriereent­scheidung ist somit keine Entscheidung für den perfekten Job, sondern für ein Arbeitsverhältnis, in dem eine Person und ihre Vorstellungen mit einem Unternehmen harmonieren, und zwar in einer bestimmten Situation. Letzteres ist nicht zu unterschätzen: Eine Karriere besteht aus vielen verschiedenen Momentauf­nahmen, die nie von Dauer sein werden. Der Faktor „Zeit“ spielt in der Ent­scheidung für einen Jobwechsel somit eine wichtige Rolle, mit der wir uns jetzt beschäftigen wollen.

Wann ist es Zeit zu gehen?

In dem Moment, in dem man geht! Der exakte Zeitpunkt lässt sich kaum be­stimmen. Manche meinen, dass man niemals mehr als drei oder vier Jahre lang auf demselben Posten bleiben sollte. Andere halten eher zwei Jahre für das Maximum.

Ich glaube, man sollte mehrere Kriterien berücksichtigen:

  • Ein Anstellungsverhältnis gliedert sich zeitlich in drei Phasen:
    - Man lernt
    - Man liefert/produziert ein Resultat für das Unternehmen
    - Man bereitet sich darauf vor, was danach kommt.
  • Je jünger Sie sind, desto kürzer kann/muss der Verbleib in einem Job sein. Doch diese drei Phasen sollte man immer im Blick behalten. Bevor man Ergebnisse vorweisen kann, ist es gefährlich, zu gehen. Denn ein Unternehmen „kauft“ Ergebnisse und Erfah­rung ein.
  • Grösster Feind ist die Bequemlichkeit eines Postens. Die schläfert ein, sodass man an Wert verliert und seine Ent­scheidungsfähigkeit einbüsst. Wenn Sie sich „zu wohl“ fühlen, ist wahr­scheinlich der richtige Moment für Phase 3 gekommen: „Ich bereite mich darauf vor, was danach kommt.“

Sowohl jungen Absolventen, als auch etablierten Führungskräften rate ich immer, ihren Marktwert zu testen. Nichts ist leichter als das. Bewerben Sie sich regelmässig auf neue Stellen, treffen Sie sich mit Personalern und Headhuntern. Selbst wenn Sie gar keine Wechselabsichten haben, erhalten Sie so einen Anhaltspunkt für den Wert, den Ihnen der Arbeitsmarkt zuschreibt. Und Sie können herausfinden, ob Sie immer noch die Wahl haben.

Wenn sich Ihnen viele Optionen auf eine neue Stelle bieten, können Sie bleiben und sich weiterentwickeln – oder sich für das „Abenteuer neuer Job“ entscheiden. Ergeben sich hingegen nur wenige Gelegenheiten, müssen Sie einen Wechsel ins Auge fassen, um Ihrer Karriere neuen Schwung zu geben oder Ihren Wert zu steigern. In diesem Fall haben Sie nicht mehr die Wahl, und schlimmer kann es nicht kommen.

Den Arbeitgeber zu wechseln ist und bleibt allerdings ein riskantes Unterfangen. Manchmal zahlt sich das Risiko aus. Manchmal aber auch nicht. Unterziehen wir die Risiken einer genaueren Analyse.

Welche Risiken bestehen?

Grösstes Risiko ist die falsche Wert­schätzung – nach dem Motto: „Im alten Job war alles besser“! Bevor Sie zu diesem Schluss kommen, machen Sie sich klar, dass jede Änderung eine gewisse Akklimatisierung erfordert. Mit dem Wechsel des Arbeitgebers läuten Sie eine Phase von Zweifeln, Ängsten und Schwierigkeiten ein. Neues Umfeld, neue Unternehmenskultur, neues Team, neue Aufgabe, neuer Vorgesetzter und, und, und...

Warten Sie daher immer sechs bis acht Monate mit Ihrer Analyse und den daraus folgenden Schlüssen.

Das heisst nicht, dass es keine Fehlent­scheidungen gibt. Wenn Sie nach Ihrer Analyse-Phase zu dem Schluss kommen, dass Sie einen Fehler gemacht haben: Warten Sie! Bleiben Sie so lange, bis Sie hinzugelernt und etwas geliefert haben. Und bereiten Sie Ihren Wechsel vor. Natürlich können Sie auch beschliessen, das Unternehmen schneller zu verlassen. Aber überstürzen Sie nichts! Denn dann droht die Gefahr, dass Sie den gleichen Fehler wieder begehen. Und einen solchen Fehler verzeihen Personaler einmal, aber kein zweites Mal.

Ebenso müssen Sie sich damit abfinden, dass es ab dem Moment, in dem Sie ein Unternehmen verlassen, keinen Weg mehr zurück gibt ins „Vorher war alles besser“. Es gibt Menschen, die sich nach einer Rückkehr zu ihrem früheren Arbeit­geber sehnen. Doch wenn es so weit ist, wird ihnen bewusst, dass die Zeit ihre Spuren hinterlassen und das Unternehmen sich geändert hat.

Ein Unternehmen entwickelt sich rasant, Ihre Motivationen aber sind konstanterer Natur. Um die Risiken weitestmöglich zu begrenzen, müssen Sie lernen, sie zu erkennen, zu akzeptieren und sich zunutze zu machen. Eine Karrierechance wird oftmals unter dem Blickwinkel des Titels, des Salärs oder der dadurch erreichten Hierarchiestufe bewertet. Das ist der falsche Ansatz.

Entscheidend sollten vielmehr persönliche Kriterien sein, die sehr viel tiefer gehen:

  • Was mache ich gerne und was nicht?
  • In welches Umfeld füge ich mich gut ein (Grösse des Unternehmens, Führungsstil, Kultur, usw.)?
  • In welchen Situationen war ich besonders effizient? Und warum? In welchem Kontext?
  • In welchen Situationen war ich unglücklich? Warum und in welchem Kontext?
  • Was ist mir wichtig, und was macht mich glücklich?

Die Antworten auf diese Fragen zeigen auf, was Sie als Person ausmacht, und ermöglichen es Ihnen, ein Phantombild von dem Umfeld zu erstellen, in dem Sie sich heute oder in Zukunft entfalten können. Verlieren Sie diese Antworten daher nicht aus den Augen!

Gescheiterte Karrieren sind in den meisten Fällen der Tatsache geschuldet, dass sich die betreffende Person zu sehr von ihrer Basis entfernt hat – auf die Gefahr hin, ins Unglück zu rennen. Keine Karriere­entscheidung muss ins Unglück, in unkontrollierbaren Stress und somit letztlich zum Burn-out führen.

Wie stelle ich es richtig an?

Es ist soweit! Sie haben beschlossen zu gehen. Ihnen liegt sogar schon ein neues Angebot vor. Das Abenteuer kann beginnen. Vorher aber heisst es Abschied nehmen: Leinen kappen, die Entscheidung kundtun, das Gespräch mit dem Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen hinter sich bringen, sich den Fragen von Freunden und Kollegen stellen. Alles keine leichten Aufgaben, für die es einige leicht nachvollziehbare Handlungsem­p­fehlungen gibt.

Zuallererst sollte man in einer so vernetzten Welt wie der unseren, die in ständiger, rasanter Bewegung ist, niemals die Brücken zum alten Arbeitgeber abreissen. Dank Ihrer Zeit dort haben Sie sich weiter­entwickelt. Es ist wichtig, im Guten zu gehen, die Gründe für die Entscheidung darzulegen und einen kühlen Kopf zu bewahren.

Nachdem Sie gekündigt haben und anfängliche Spannungen vorbei sind, sollten Sie Ihre Kontakte ins alte Unternehmen reaktivieren, Ihre alten Kollegen in Ihr neues Netzwerk einspannen, ja sogar berichten, wie es Ihnen nun ergeht.

Ebenso wichtig ist, dass Sie Ihren Schritt begründen können. So können Sie nicht nur sich selbst in Ihrer Entscheidung bestärken, sondern dem Unternehmen/Vorgesetzten auch Ihre Motive darlegen. Wenn Sie noch eine Bemerkung loswerden wollen, zögern Sie nicht, aber immer nur aus einer positiven Situation und Einstellung heraus. Manche Unternehmen führen „Exit Interviews“ durch, um die Beweggründe derjenigen, die gehen, zu verstehen und daraus zu lernen. Dabei sollten Sie unbedingt so genau und ehrlich antworten wie möglich.

In manchen Fällen ergibt sich sogar eine neue, schwierige Lage: Das Unternehmen will Sie halten, es macht ein Gegenangebot, verspricht einen neuen Posten oder bessere Bedingungen. Was tun?

Die einzig richtige Antwort darauf gibt es nicht. Eine Orientierungshilfe aber bietet Ihre Argumentation für die Kündigung (das Warum). Entscheiden Sie sich nicht für die Bequemlichkeit, denn die wird Sie lähmen. Und vor allem: Lassen Sie sich nicht auf das Spiel ein, zu kündigen, um mehr oder etwas Besseres herauszuholen. Dabei setzen Sie viel aufs Spiel.

Wenn Sie sich zum Bleiben entschliessen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie sich schon bald wieder auf dem Ab­sprung befinden. Und dieses Mal wird das Unternehmen Sie kaum davon abhalten wollen. Entscheiden Sie sich hingegen trotzdem zu gehen, bereuen Sie es nicht! In solchen Momenten sollte man nicht allzu oft zurückblicken.

Fazit: Lernen Sie Schach!

Als Fazit gestatte ich mir, Ihnen einen letzten Ratschlag mit auf den Weg zu geben: Gestalten Sie Ihre Karriere wie eine Partie Schach.

Man muss immer mindestens einen Zug vorausdenken. Denken Sie nicht an die nächste Position, sondern an die übernächste. Gehen Sie nicht, um etwas „Besseres“ zu bekommen, sondern richten Sie sich danach, was Sie dank der neuen Gegebenheiten danach erreichen können. In einer Welt, die sich immer schwerer deuten lässt, müssen Sie sich permanent darin üben, vorauszudenken. Das heisst nicht, dass Sie dadurch immer die richtige Antwort finden („Welcher Job kommt danach?“, „Wo?“, „Zu welchen Bedingungen?“). Es geht in erster Linie darum, sein Gehirn zu trainieren und die Fähigkeit zur Analyse des beruflichen Umfelds zu schulen. Karriere-Management ist eine Ausdauersportart:

  • Ihr erster Job führt Sie an die Startlinie.
  • In dem Moment, in dem Sie sich über Ihre Wünsche und Zielsetzungen klar werden, fällt der Startschuss.
  • Die erste Kündigung katapultiert Sie in die richtige Spur.

Danach geben Sie den Takt an.

Viel Erfolg!

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