Pflegen Sie Ihre Einzigartigkeit! Setzen Sie auf Ihre „Uniquability“
Artikel erschienen im Career Starter, 14. Ausgabe 2010.

Pflegen Sie Ihre Einzigartigkeit! Setzen Sie auf Ihre „Uniquability“

Von Imke Keicher, ikmc

„Tell us what makes you unique“ fordert Google seine Bewerber auf. Der innovative Leader, der im Internet den Puls angibt, ist ein Sammelbecken für Menschen, die ihre Originalität pflegen: kreative Köpfe, vom ehemaligen Neurochirurgen bis zum Krokodil-Wrestler. Mit dieser Rekrutierungsstrategie greift das Unternehmen eine Schlüsselfrage für die Gestaltung des Berufslebens in der Zukunft auf: Worin besteht Ihr ganz persönlicher Mix aus Talenten, Kompetenzen und Leidenschaften, Ihre Uniquability?

Die Wirtschaftskrise führt täglich zu neuen Beispielen dafür, dass Bildung und ein makelloser Lebenslauf nicht mehr vor Jobverlust, Herabstufung oder Arbeitslosigkeit schützen. Das bewährte Konzept der „Employability“ (Beschäftigungsfähigkeit) muss weiterentwickelt werden.

Die Employability-Logik verspricht: Wer gut ausgebildet ist, das „Richtige“ gelernt hat, sich in seinem Beruf immer weiter­entwickelt, wer seine Fähigkeiten konsequent den Bedürf­nissen des Arbeitsmarktes anpasst, bleibt „beschäftigungsfähig“. Aber eine starre Ausrichtung am Markt führt quasi als Nebenprodukt zu opportunistischen Karrieren ohne Begeisterungsfaktor und schafft Arbeitnehmer, deren Profile sich stark ähneln und die dadurch leicht in die Austauschbarkeitsfalle geraten. Denn auf dem Arbeitsmarkt ist es nicht anders als auf den Konsummärkten: Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit drücken auf die Preise (beziehungsweise auf das Gehalt), da geht es uns am Ende, überspitzt ausgedrückt, nicht anders als Zahnpasta, Kühlschränken oder Versicherungen.

Wie stark die Angst vor der Austauschbarkeit ist, zeigt ein kleiner Film auf Youtube aus dem Krisenjahr 2009. Dutzende gut gekleideter Business-Professionals warten vor einem der üblichen Glasfront-Office-Gebäude telefonierend oder Zeitung lesend. Plötzlich kommt ein Pick-Up angefahren, ein Hispano-­Amerikaner in kariertem Hemd steigt aus – alle versammeln sich erwartungsvoll. Er hat eine Liste in der Hand und fängt an, in gebrochenem Englisch vorzulesen: „One chief marketing officer, two certified accountants, one senior programmer“ ... Nur wenige der einst hoch bezahlten „white collars“ ergattern an diesem Tag einen Job. Ein „Erntehelfer-Szenario“ mit umgekehrten Vorzeichen. Das ist der ultimative Alptraum für Menschen, die – zu Recht – auf Bildung und Wissen setzen.

Denn eines ist klar: Ohne fundiertes Wissen und ohne gute Ausbildung funktioniert in der Wissensgesellschaft nichts mehr. Aber Wissen allein reicht nicht mehr aus, denn „differentiate or die“ gilt auch im Arbeitsleben. Wer sich von seinen Mitbewerbern unterscheidet, macht es Unternehmen leichter, sich für ihn zu entscheiden. Es macht Sinn, diesen Mechanismus frühzeitig auf die eigene Lebensplanung anzuwenden. Nur wer Ecken und Kanten hat, wird nicht so leicht überrollt.

Uniquability: Rohstoff für die Karrieren von morgen

Hier kommt die „Uniquability“ ins Spiel, der ganz individuelle Mix aus Stärken, Talenten und Leidenschaft, das, was uns einzigartig macht. Uniquability ist der wichtigste Rohstoff für die Karrieren von morgen und darüber hinaus die grösste Energiequelle für die wechselhaften und wandelbaren Berufsbiografien der Zukunft. Denn das, was wir mit besonders viel Begeisterung und Hingabe tun – zunächst einmal ganz unabhängig davon, ob wir dafür bezahlt werden oder nicht – gibt uns Energie, macht uns stark und treibt uns zu Höchstleistungen an.

„Find out, what you don’t like to do and stop doing it“, das ist der auf den ersten Blick recht einfache Ratschlag, den Marcus Buckingham, ehemals Gallup-Forscher, erteilt. Er hat systematisch die Berufsbiografien von aussergewöhnlich erfolgreichen Menschen untersucht. Seine wichtigste Erkenntnis: Die Fähigkeit, sich nach eigenem Plan, gestützt auf seine ganz individuellen Stärken zu entwickeln und keinem Karriere-Standard zu folgen, ist der gemeinsame Nenner der Hochleister. Freude an der Arbeit gibt Energie. Leidenschaft führt zu Leistung. Wo Uniquability und Aufgabe richtig gut zusammen passen, ist der Gewinn für Unternehmen und Mitarbeiter sicher.

Bei der Jobwahl werden wir deshalb in den kommenden Jahren einen signifikanten Perspektivenwechsel erkennen können. Statt vor allem den Markt zu beobachten und sich die Quali­fikationen anzueignen, die in Zukunft vermutlich gebraucht werden, statt zu rätseln „Wie soll ich sein?“ stehen neue Fragen im Mittelpunkt: „Was macht mich unverwechselbar? Was gibt mir Energie? Welches Umfeld macht mich stark? Mit wem will ich arbeiten?“ Nur wer weiss, was er wirklich gut kann und unter welchen Umständen Bestleistungen für ihn möglich sind, kann entsprechend verhandeln und gestalten. Selbstkenntnis und Selbstmanagement sind deshalb Schlüsselqualifikationen für den optimalen Umgang mit dem eigenen Talent.

Noch ist das Wissen um die eigene Uniquability bei vielen Menschen wenig entwickelt. Oft haben weder Schule noch Elternhaus oder bisherige Arbeitserfahrungen bei der schwierigen Frage nach der eigenen Unverwechselbarkeit geholfen. Unternehmen, die potentielle und aktuelle Mitarbeiter dabei unterstützen, herauszufinden, was sie besonders gut können, werden in den nächsten Jahren punkten. Die junge Disziplin der positiven Psychologie ist dabei, sich zeitgemäss als „Uniquability Coach“ mit Diagnostiktools und Trainingsmodulen zu etablieren. Umgesetzt wird dies beispielsweise aktuell im an der Universität Zürich entwickelten „Stärkentraining“ (www.staerkentrainieren.org).

Von Karriereplänen zu ganzheitlichen Lebensentwürfen

Wenn die die Berufswelt per se unsicher ist und kaum mehr Planbarkeit bieten kann, entstehen neue Konzepte von Sicherheit. Dazu zählen Netzwerke, die auffangen, auch und gerade dann, wenn nicht alles perfekt läuft, sowie eine Form von authentischer „Selbstsicherheit“, die auf tiefer Selbstkenntnis beruht. Hinzu kommt die „Resilienz“, so nennen Psychologen die individuelle Fähigkeit, auch in Belastungssituationen psychisch gesund zu bleiben.

In diesem Umfeld verändert sich auch das Verständnis von Erfolg und Karriere. Karriere ist immer weniger die Abfolge logisch aufeinander abgestimmter „Karriereschritte“ und immer mehr eine individuelle Abenteuerreise mit Unwägbarkeiten, Umwegen, Abstiegen, Neuanfängen, Gefahren, Scheitern und Erfolgen. In der Lebens- und Arbeitswelt von morgen wird das Leben für immer mehr Menschen wieder zum Gesamtkunstwerk, in dem Arbeit und Privates nicht mehr streng voneinander getrennte Sphären sind. Arbeitnehmer werden zu „Talentunternehmern“ und zu „Lebensunternehmern“, die abhängig von der jeweiligen Lebensphase individuelle Lebens- und Arbeits­konzepte entwickeln. Hierbei kommen die unterschiedlichsten Formen von Arbeit zum Einsatz: Voll- und Teilzeit, Festan­stellung oder Selbstständigkeit, aber auch unbezahlte Arbeit (zum Beispiel für karitative Projekte) oder die Gleichzeitigkeit verschiedener Jobs. Dass es auch eine makroökonomisch sichtbare Tendenz zu gelockerten Arbeitsstrukturen und mehr Selbst­ständigkeit gibt, bestätigt der Think Tank der Deutschen Bank. Im Szenario „Deutschland 2020“ von Deutsche Bank Research gewinnt die „Projektwirtschaft“ im Sinne von „meist temporären, stark kooperativen und oft globalen Wertschöpfungsprozessen“ an Wichtigkeit. Rund 15 Prozent soll diese Art von Arbeit im Jahr 2020 zur Wertschöpfung beitragen. Im Vergleich: 2007 waren es erst etwa zwei Prozent.

„Freude an der Arbeit gibt Energie. Leidenschaft führt zu Leistung. Wo Uniquability und Aufgabe richtig gut zusammen passen, ist der Gewinn für Unternehmen und Mitarbeiter sicher.“

Uniquability-Karrieren sind so vielfältig wie die Menschen selbst, haben jedoch eines gemeinsam: Sie beginnen beim eigenen Herzen und finden Sicherheit im Vertrauen auf die eigenen Stärken.

Dabei werden wir auch beobachten wie die Statussymbole sich verändern. „Mein Titel, mein Firmenwagen, mein Blackberry“, das war gestern. Zeitsouveränität wird in Zukunft wichtig, die Freiheit, nicht immer erreichbar sein zu müssen, selbst Prioritäten zu setzen und Zeit zu haben für Freunde, Familie und individuelle Leidenschaften. Ausserdem Gesundheit, persönliches und professionelles Wachstum, inspirierende Netzwerke, aber auch Freude an dem, was man tut, spannende Ziele und interessante Projekte.

Uniquability im Recruiting

Die Halbwertzeit von erworbenem Wissen schrumpft bedrohlich. Deshalb der Hinweis an Personalprofis: Anstatt bei der Rekrutierung vor allem auf das Wert zu legen, was in der Vergangenheit geleistet wurde (Abschlüsse und Zeugnisse), braucht es innovative Wege, um Zukunftspotential, Einstellung und Kreativität von Bewerbern einzuschätzen. Dabei geraten zusätzliche, neue Faktoren in das Zentrum der Aufmerksamkeit: In welchem Umfeld ist jemand besonders leistungsfähig, wie gut kennt er sich selbst und kann seine eigene Leistungsfähigkeit managen? Wie wirkt sich die Unternehmenskultur auf die Kreativität, Problemlösungskompetenz und Innovationsfähigkeit eines potentiellen Mitarbeiters aus? Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Netzwerkkreativität bei der Problemlösung müssen auch Annahmen über die Fähigkeit, vernetzt zu arbeiten, getroffen werden. Mit diesen Themen wandert der Fokus von einer eher vergangenheitsorientierten und zeugnisfokussierten Kompetenzbeurteilung hin zu einer mehrdimensionalen Einschätzung des individuellen Kreativitäts- und Zukunftspotentials.

Ob für die Einzelnen oder für die Unternehmen: Uniquability entwickelt sich zur treibenden Kraft in der Arbeitskultur von morgen. Jeder, der jetzt in sein Berufsleben startet, erlebt, wie sich eine neue Arbeitskultur entwickelt: Creative Work. Unternehmen experimentieren immer öfter mit dieser neuen Art zu arbeiten – einer Arbeitsweise, die auf mehr Eigenständigkeit beruht, die sich in ihrer Offenheit und Flexibilität den Erfordernissen der Zukunft öffnet und zunehmend mehr Spielraum für eigenverantwortliches Mitgestalten bietet.

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