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Zur Freiwilligkeit motivieren? Gruppendynamik statt Motivationsillusionen
Artikel erschienen im Career Starter, 18. Ausgabe 2014.
Zur Freiwilligkeit motivieren? Gruppendynamik statt Motivationsillusionen
Prof. Dr. Olaf Geramanis,
Trainer für Gruppendynamik (DGGO),
Fachhochschule Nordwestschweiz
Der bürokratische Traum einer vollkommenen Organisation, die auf die «menschliche Unberechenbarkeit» keine Rücksicht nehmen muss, trifft nur noch auf wenige Abläufe zu. Arbeitsplätze, in denen lediglich rationale Arbeit geleistet wird, werden früher oder später vollständig an Computer abgegeben. Zukünftig wird es weniger Lehrer, Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Reisebüros und Berater benötigen, weil ein Grossteil der Informationen im Netz hinreichend beschrieben und abrufbar sind. Wirklicher Mehrwert wird nur noch dort geschaffen, wo nicht-standardisierbare und nicht-industrialisierbare Arbeit stattfindet.
Damit eine Organisation in unserer hochentwickelten und globalen Welt auch in Zukunft bestehen kann, muss die Komplexität innerhalb der Organisation gesteigert werden. Das bedeutet, die verteilte Intelligenz weitgehend autonomer Einheiten (Menschen) muss in einem gemeinsamen Entscheidungszusammenhang zusammengeführt werden. Dieser ist dann aber vielfach hierarchieübergreifend. Komplexität lässt sich nur mit Komplexität beantworten. Die Sehnsucht nach Vereinfachung und längeren Verschnaufpausen bleibt endgültig illusionär.
Für diese Form von Arbeit sind wir jedoch noch lange nicht professionell genug. Oftmals klappen die Problemlösungen nicht. Die Gründe sind einfach: Die Personen sind nicht vernetzt, reden nicht miteinander oder sind nicht mit Herzblut bei der Sache. Damit sind wir bei der
eigentlichen Führungsherausforderung angekommen: Was zählt, ist das gelungene Zusammenspiel der individuellen Leistungen zu einem Ganzen – und der Schlüssel zum Erfolg sind persönliches Engagement und gegenseitiges Vertrauen. Wie kann Führung diese individuellen Ressourcen erfolgreich erschliessen?
Selbst-Motivation durch Fremd-Motivation?
Die naheliegende Folgerung lautet, Mitarbeitende zum freiwilligen Engagement aufzufordern. Selbstmotivation durch Fremdmotivation ist jedoch ein paradoxes Unterfangen! Wer als Vorgesetzter durch Wertschätzung bessere Leistungen erreichen will oder wohlwollend auf Abwesenheiten, Fluktuation und Widerstand antwortet, reagiert genau genommen mit Korruption. Die Mitarbeitenden das Sollen selbst wollen. Aber auch wenn man sich freiwillig in einen Zwang begibt, hört dieser nicht auf, einer zu sein. Das Dilemma ist nicht lösbar: Aus Vorgesetztensicht wäre Konsens ideal, denn hätten die Mitarbeitenden dieselben Interessen wie sie, bräuchte es nicht einmal mehr Kontrolle – eigentlich raffiniert, aber falsch. In machtasymmetrischen Beziehungen ist Konsens eine Illusion, weil es immer Abhängigkeiten gibt.
Wer kennt sie nicht, die „Sei-spontan-Paradoxien“ – inklusive ihrer (meist unausgesprochenen) Warnungen? Du sollst offen kommunizieren – aber in bestimmten Momenten nicht! Man darf Fehler machen – aber sie schaden der Karriere! Du sollst im Team arbeiten – aber entlohnt wirst du individuell! Du sollst vertrauen und informieren – aber keine schlechten Nachrichten nach oben melden!
All dies sind klassische „Double-Binds“. Aus der Familientherapie kommend, werden damit Kommunikationsformen bezeichnet, die in einem Rahmen stattfinden, der durch enge Bindung und hohe Anspannung gekennzeichnet ist, wobei über allem die Angst vor „Strafe“ schwebt. Das Fatale besteht darin, dass es wie eine Einladung zu Spontaneität und Freiwilligkeit aussieht, aber man spürt das Unausgesprochene. Das Dilemma ist klar: Auf welche Seite man auch reagiert, man kann es nur falsch machen.
So gut es Führungskräfte auch meinen, der Versuch, das offenkundige Dilemma zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie wollen unsichtbar zu machen, ist problematisch. Letztendendes wird dadurch eine Vermeidungs- und Misstrauenskultur etabliert. Paradoxe Kommunikation ist das Ende von Führungsverantwortung, denn es führt dazu, mit Ambivalenz und Beliebigkeit zu reagieren.
Vertrauen durch Anreiz und Kontrolle?
Wenn es darum geht, gemeinsamen Austausch zu fördern, dann ist auch ein zu individualistisches Menschenbild problematisch. Es ist okay, wenn ich auf einem Zielfindungsseminar oder im Coaching herausfinde, dass ICH kommunizieren kann und wohin ICH mich entwickeln möchte. Sobald ich wieder im alten Trott bin, kann ich vielleicht nichts umsetzen. Coaching und Weiterbildungen sind verführerisch, weil sie einen glauben machen, das Drehbuch des eigenen Lebens selbst schreiben zu können. Zugleich laufen sie Gefahr, etwas Zynisches zu bekommen: Was, wenn ich keinen Zugang zu den erforderlichen materiellen, sozialen und psychischen Ressourcen habe? Ich allein kann es schaffen und bin allein bin fürs Versagen verantwortlich.
Auch Motivation durch individuelle Belohnung hilft nicht weiter. Insbesondere Leistungsprämien individualisieren radikal, denn es wird deutlich, dass Personen nicht über ihre Beziehungen und ihre Bindungen an die Organisation motiviert werden, sondern über ihren Egoismus, noch mehr für sich selbst zu gewinnen. Motivationsprobleme allein durch Karriere-Anreize und Geld lösen zu wollen, entlässt uns aus sozialen Verbindlichkeiten. Das Dilemma aller Anreizsysteme steckt darin, dass der Wunsch nach Kontrolle und Kalkulierbarkeit die Idee einer Motivation aus Freiwilligkeit und Selbstbestimmung zwingend verunmöglicht. Erst am Ende der Kontrolle, eröffnen sich Möglichkeiten für Freiwilligkeit – erst wer den Vertrauensbruch in Kauf nimmt, kann Vertrauen erwerben.
Die Gruppe als Spielraum für Selbstorganisation
Perfektionierung von Kontrolle, genaues Regelbefolgen und Dienst nach Vorschrift bringt jede Organisation zu Fall. Demgegenüber ist das „Informell-Menschliche“ mit so unwägbaren Gefühlen wie Akzeptanz, Identifikation, Sympathie und Antipathie verbunden. Dieses „Fühlst du mich – Spürst du mich“ wollte man draussen halten. Wenn die Organisation jedoch auf Engagement und Vertrauen angewiesen ist und diese Ressourcen nur informell-freiwillig zur Verfügung gestellt werden, dann muss das Informelle
reintegriert werden. Damit kommt „die Gruppe“ als motivationales Gegenmodell ins Spiel. Sie war von jeher Teil der Organisation und ist formell der Ort für das Informelle. Sie ist das soziale Gegengewicht gegen das Unsichtbarwerden der Person und ihre Austauschbarkeit und steht dem Ökonomischen gegenüber. Die Trennung zwischen ökonomischer und sozialer Logik darf jedoch nicht aufgehoben werden. Im Gegenteil: Wenn das Unternehmen von den Mitarbeitenden etwas fordert, was diese nur freiwillig in Gruppen zu geben bereit sind, dann müssen derartige Gruppen zur Verfügung gestellt werden.
Diese werden allerdings erst dann zu den erhofften „High-Performance-Teams“, wenn sie ein hohes Kooperationsniveau erreichen. Dazu müssen sie eine Gemeinschaft bilden, die auf dem „Gefühl der Zusammengehörigkeit“ basiert. Erst darüber erwerben sie Kompetenz im Umgang mit Ungewissheit und einen „gemeinsamen Spirit“. Max Weber prägte diesen Begriff der „Vergemeinschaftung“: In vergemeinschafteten Gruppen darf alles thematisiert werden, man wird als ganzer Mensch angesprochen, ist nicht austauschbar und man ist sich der Zugehörigkeit sicher. Es herrscht ein hohes Mass an Vertrauen, und die Mitglieder begreifen sich als soziale Einheit, die ihre gemeinsamen Grenzen ausprägen. Allerdings entsteht dies nicht von selbst und ist kein Dauerzustand. Die Gemeinschaft muss erarbeitet und immer wieder aufs Neue am Leben erhalten werden. Dafür benötigt sie Räume und Ressourcen, in denen neben der Arbeit die soziale Koordination möglich ist.
Mit Hilfe der folgenden Punkte, deren Initiierung Führung benötigt, können Gruppen diesen Weg beschreiten:
- Das Team erhält eine Aufgabe, die wirklich eine Gruppen-Aufgabe ist: d.h. keine Probleme, die Einzelne genauso gut oder besser lösen können.
- Das Team wird ernst genommen, indem keine individualistische Sichtweise vorherrscht: Individuelle Ent- und Belohnungssysteme abschaffen, Verdienste des Teams als solche kommunizieren, Raum und Zeit zur Koordination geben.
- Initiativen zur Entwicklung von Teamfähigkeit bieten: Kommunikative Haltungen, kooperative Fähigkeiten und Feedbacksysteme etablieren.
Solche Gruppen innerhalb von Organisation zu führen, ist nicht das Ende der Führungsverantwortung. Im Gegenteil, es bedeutet einen grundlegenden Paradigmenwechsel weg von Anreiz und Kontrolle und hin zu Kontextsteuerung und transparenter Zielformulierung. Dies verlangt gruppendynamische Kompetenz, die nicht in die Wiege gelegt ist, sondern erlernt und lebendig gehalten werden muss.