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Karrieremanagement: Der Ball liegt bei Ihnen!
Artikel erschienen im Career Starter, 13. Ausgabe 2009.
Karrieremanagement: Der Ball liegt bei Ihnen!
Von Frédéric Kohler,
Training Manager,
BNP Paribas (Suisse) SA
Es mag seltsam oder voreilig erscheinen, Absolventen, denen der Einstieg in die Berufswelt noch nicht gelungen ist, mit dem Thema Karrieremanagement zu konfrontieren. Trotzdem – viele dieser jungen Menschen sind nach einer ersten enttäuschenden Berufserfahrung verbittert. Deshalb macht es Sinn, so früh wie möglich zu klären, worin Karrieremanagement besteht und welche Rolle dabei den verschiedenen Akteuren zukommt.
Das Karrieremanagement
Die Karriere oder Laufbahn kann als die Abfolge der während des gesamten Berufslebens besetzten Stellen definiert werden. Hält man sich an diese Definition, deutet nichts darauf hin, dass die Bezeichnung „Karriere“ für immer mehr Verantwortung, ein stets vertieftes Wissen, mehr Know-how oder für eine stetige Lohnerhöhung steht.
Für die meisten Männer und Frauen, seien sie nun Angestellte, Handwerker, Sportler oder gar Künstler besteht die berufliche Laufbahn in keinem oder höchstens einem oder zwei Stellenwechseln oder Beförderungen. Kann man in einem solchen Fall wirklich von Karrieremanagement sprechen?
Natürlich nicht. Karrieremanagement ist ein Konzept, das man nicht vom richtigen Umgang mit ungenutztem Potential trennen kann. Es betrifft in erster Linie diejenigen Männer und Frauen, die im Unternehmen bewiesen haben, dass sie einen überdurchschnittlich hohen Mehrwert bringen können, sowie diejenigen, die noch keine Chance erhalten haben, dies zu zeigen, die aber durch ihre persönliche Laufbahn oder ihre Grundausbildung ein Potential erahnen lassen.
Letztere hatten bis vor kurzem eine Laufbahn, die aus statistischer Sicht relativ gut vorhersehbar war: Sie glich einer S-Kurve, die x-Achse entsprach der Zeit und die y-Achse dem Grad der Verantwortung. Solche fast mathematischen Karrieren galten entweder für technische Berufe, in denen der Grad der Verantwortung gestützt auf die fachliche Erfahrung stetig zunahm, oder für Berufe im Management, wobei der Grad der Verantwortung von der Führungsebene und von der Fähigkeit, Menschen und Geschäfte zu leiten, abhing.
Diese Zeiten sind heute jedoch vorbei. Die S-Kurve wurde durch eine Omega-Kurve abgelöst, bei der der letzte Teil der Karriere einem abnehmenden Verantwortungsgrad (z. B. bei Sportlern) entspricht. Oder aber es ist eine gezackte Kurve mit unzähligen S-Kreisen entstanden, die immer rascher aufeinander folgen. Zu erkennen ist dabei immer wieder ein Anfang bei Null, wenn eine Neuausrichtung oder eine Änderung des Berufes erfolgt ist. Dies wird je länger umso häufiger und kann nur noch schwer vermieden werden.
Bis Ende des letzten Jahrhunderts übten 95 % der Männer und Frauen während ihres gesamten Lebens den gleichen Beruf aus oder wandten dieselben Kompetenzen an. Heutzutage kann man den Absolventen bereits jetzt vorhersagen, dass die überwiegende Mehrheit unter ihnen im Laufe ihrer Karriere mehr als dreimal den Beruf wechseln wird und dass diese Wechsel zu grossen und wenig absehbaren Einschnitten führen werden. Angesichts dieser revolutionären Entwicklung und dem Ende all unserer diesbezüglichen Gewissheiten scheint das Konzept des Karriereplans überholt.
Der Arbeitsvertrag: Nicht mehr nur gegenseitige Pflichten, sondern eine Partnerschaft
Eines sollte man nicht vergessen: Ein Arbeitsvertrag ist nicht einfach ein x-beliebiger Vertrag. Natürlich ist das Konzept der gegenseitigen Pflichten nicht davon wegzudenken, doch darf man den Vertrag nicht einzig und allein auf diesen Aspekt reduzieren. Es handelt sich um eine echte Partnerschaft, bei der nicht nur jede Partei auf ihre Kosten kommt, sondern auch ein Interesse daran hat, dass die andere Partei ebenfalls als Gewinner dasteht. Heutzutage spricht man in einem solchen Fall von einer „Win-win-Situation“. Behalten Sie dieses Bild im Kopf, wenn Sie eine Laufbahnänderung anstreben – denn die Befriedigung der Interessen beider Parteien wird immer eine unerlässliche Bedingung darstellen.
Das Leben jedes Mitarbeiters am Arbeitsplatz gehorcht übrigens einem klar bestimmten 4-Phasen-Zyklus: Alles beginnt mit der Entdeckung bzw. der Zeit der Integration. Darauf folgt die Lern- und Entwicklungsphase, dann die Phase der Beherrschung der erworbenen Fachkenntnis und der Produktion. Zum Schluss erlebt man eine Phase der Demotivation, des Überdrusses und des Hinterfragens.
Während dieser verschiedenen Phasen fallen die Interessen des Unternehmens und diejenigen des Mitarbeiters meist sehr unterschiedlich aus: Das Unternehmen interessiert sich im Prinzip nur für Phase 3, wünscht sich, die Phasen 1 und 2 so stark wie möglich zu kürzen, und fürchtet sich vor Phase 4.
Für den Mitarbeiter hingegen sind die Phasen 1 und 2 oft glückliche und willkommene Zeiten. Wer neugierig, ehrgeizig oder talentiert ist, wird nur kurz in Phase 3 verweilen, zum grossen Missfallen seines Arbeitgebers. Für die neuen Generationen gilt dies umso mehr.
Dadurch fällt für ein Unternehmen die gesamte Strategie zur Rentabilität seiner Investition in sich zusammen. Deshalb kommt es nicht selten vor, dass Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber in Konflikt geraten, weil dieser sich weigert, ihnen nach nur 2-jähriger Tätigkeit eine gewünschte Versetzung oder Beförderung zu bewilligen.
Die Beschäftigungsfähigkeit: Der Mythos vom Wohlfahrtsunternehmen
Im 19. Jahrhundert führten die industrielle Revolution und das kapitalistische System zur Entwicklung des paternalistischen Unternehmens: der Firma, die sich um alles kümmerte. Als Gegenleistung dafür erwartete sie hundertprozentige Treue und Einsatz. In diesem Modell garantierte das Unternehmen den Arbeitsplatz und nicht die Beschäftigungsfähigkeit.
Im 20. Jahrhundert wurde diese Verantwortung der Unternehmen durch neue politische und wirtschaftliche Modelle (Kommunismus, Sozialismus, christliche Demokratie, Linksradikale) an den Staat übertragen, da sich die Unternehmen in Zeiten der grossen Krisen oft nur schlecht behaupten konnten. Bis Ende des letzten Jahrhunderts war es demnach u. a. Aufgabe des Wohlfahrtsstaates, die Beschäftigungsfähigkeit seiner Bürger zu garantieren. In Frankreich, Belgien, Kanada und Skandinavien versuchte der Staat, Weiterentwicklung, Ausbildung und Karriere im Unternehmen zu kodifizieren und zu reglementieren.
Doch heute verfügen selbst die sozialsten Staaten weder über die Mittel noch über die Macht, um diesem Auftrag nachkommen zu können. Deshalb musste ein neues Konzept erfunden werden, eine Variante der Sozialverantwortung der Unternehmen (CSR: corporate social responsibility): die Verantwortung der Unternehmen, für die zukünftige Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu sorgen.
Deswegen zu glauben, dass es Aufgabe der Unternehmen ist, das Karrieremanagement all ihrer Mitarbeiter zu sichern, wäre aber eine Illusion. Denn ein Unternehmen wird dies nur tun, wenn es sich lohnt, d. h. wenn diese neue Investition auch rentabel ist.
Deshalb wird eine Firma nur für Mitarbeiter mit hohem Potential und der Absicht, sehr lange im Unternehmen zu bleiben, ein richtiges Karrieremanagement entwickeln. Für ihre „key people“ oder „high potential“ werden tatsächlich Programme zur Mitarbeiterbindung durchgeführt. Dazu gehört ein echtes Karrieremanagement inklusive Kompetenzmanagement sowie Motivations- und Arbeitszyklusplanung. Natürlich gilt das nicht für die 80-90 % derjenigen Mitarbeiter, die nicht in diese Gruppe gehören, selbst wenn ein Unternehmen sich auch für sie einsetzt. Es wird nur das Minimum unternommen, um keine Personalrisiken für den Betrieb einzugehen. D. h. Probleme werden reaktiv und von Fall zu Fall beurteilt.
Karrieremanagement in Eigenverantwortung
Wenn nicht das Unternehmen sich ums Karrieremanagement kümmert, wer dann? Eines ist klar: Der Staat wird es nicht tun. Das sozialdemokratische oder „Beamten“-Modell der gesicherten Rechte ist mit einem offenen Wirtschaftssystem nicht vereinbar, das hat sich gezeigt. Dieses Modell existiert heute nirgends mehr.
Das neoliberale angelsächsische Modell stellt die Frage gar nicht erst. Die mehr oder weniger überzeugten Befürworter dieses Sozialdarwinismus, der besagt, dass nur die Stärksten überleben werden, gehen von der Annahme aus, dass die Beschäftigungsfähigkeit der einzelnen Menschen und das Karrieremanagement ihrer eigenen Verantwortung unterliegen. Der Daseinsgrund eines Unternehmens besteht darin, durch Kostenoptimierung seine Rentabilität zu steigern und nicht, sich sozial zu engagieren. Karrieremanagement wird demnach nur dann angeboten, wenn das Unternehmen dabei auf seine Kosten kommt.
Das europäische Sozialmodell der Flexicurity ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Es zieht die Konsequenzen aus der Tatsache, dass es nicht Auftrag des Unternehmens sein kann, die Karriere all seiner Mitarbeiter zu planen und sieht deshalb bedeutende gesetzliche und finanzielle Mechanismen vor, um ein lebenslanges Lernen und eine ebensolche Orientierungshilfe zu fördern. Staatliche Begleitstrukturen für das Karrieremanagement werden von denjenigen Unternehmen finanziert, die keine Mitarbeiter ausbilden und deswegen besteuert werden. In Frankreich wurde dieses Konzept im Rahmen des individuellen Anspruchs auf Weiterbildung DIF (Droit individuel à la formation) sowie in den Umschulungsverträgen umgesetzt. In Skandinavien existiert ein Sabbatical zu Weiterbildungszwecken, bei dem dieses Konzept aufgenommen wird. Dabei kann man ab einem bestimmten Dienstalter, abhängig von der Grösse des Unternehmens, eine vom Staat bezahlte Weiterbildung absolvieren und erhält gleichzeitig weiterhin einen Teil seines Gehalts sowie die Garantie, dass man seine Stelle behalten kann.
Ein Mittelweg zwischen diesen zwei Modellen findet sich, wie so oft, in der Schweiz. Konsensbasiert und anreizgesteuert – den Unternehmen wird in Bezug auf das Kompetenzmanagement und die Karriereplanung ihrer Mitarbeiter keinerlei Verpflichtung auferlegt.
Die Schweiz zählt auf das gemeinsame Interesse der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter. Gleichzeitig bietet sie gewisse Steuererleichterungen oder Gutscheine an, um individuelle Weiterbildungen zu fördern. Schweizer Unternehmen, die diese Praxis systematisch anwenden, tun dies im Wesentlichen, um ihr Image und ihre Attraktivität zu verbessern. Die meisten unter ihnen beschränken sich auf ein optimales „Talente“-Management, um Betriebsrisiken abzudecken und ihren „Nachwuchs“ zu sichern.
Auswirkungen der Arbeitsmarktsituation auf die genannten Modelle
Natürlich werden diese verschiedenen Modelle stark von den demografischen und wirtschaftlichen Zyklen beeinflusst.
Die liberale Position, die sich zumindest einer gewissen Klarheit rühmen kann, wird in Zeiten schwieriger wirtschaftlicher Krisen wie der gegenwärtigen geschwächt, weil ihre Vertreter sich plötzlich als Befürworter staatlichen Eingreifens offenbaren. Man kann aber fast darauf wetten, dass die Milliarden öffentlicher Gelder, die in die in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen gesteckt werden, nicht bis in die Personalabteilungen gelangen werden, um dadurch den Angestellten zu helfen, ihre Kompetenzen auszubauen, voranzukommen oder sich weiterzuentwickeln. Ist der Arbeitsmarkt hingegen angespannt und gibt es weniger Talente, übernimmt die Mehrheit der am stärksten kapitalistisch orientierten Unternehmen plötzlich eine Verantwortung für das Karrieremanagement ihrer Mitarbeiter, um diese anzulocken oder an die Firma zu binden. Zumindest wird dies nach aussen so kommuniziert.
Auch bei den sozialsten Modellen stellt man ähnliche Auswirkungen des externen Umfeldes fest. Herrscht aufgrund einer Wirtschaftskrise und/oder hoher Arbeitslosigkeit ein Überfluss an Bewerbern, so wollen auch die tugendhaftesten Unternehmen ihre Kosten optimieren und tendieren manchmal dazu, ihre Bemühungen im Bereich Weiterbildung und Karrieremanagement zu reduzieren. In einer solchen Ausgangssituation erfolgt eine Art implizite „sanfte Erpressung“ bei der Kandidatenauswahl: Da sich die Firmen nun ausschliesslich auf zügige Rentabilität konzentrieren, bieten sie kaum noch Weiterbildungsmöglichkeiten an und engagieren vor allem solche Kandidaten, von denen innerhalb kürzester Zeit hohe Effizienz zu erwarten ist.
Die gegenwärtige wirtschaftliche Situation in der Schweiz ist von Kanton zu Kanton und von Branche zu Branche äusserst unterschiedlich. Durch die Finanzkrise sind alle Modelle geplatzt. Die Unternehmen, die sich noch vor kurzer Zeit gegenseitig die Bewerber entrissen, indem sie ihnen bezüglich ihrer Karriere goldene Berge versprachen, haben jetzt das Tempo gedrosselt. Man sieht nur beschränkt, was kommen wird, und deshalb wagen es die Firmen nicht mehr, über eine insgesamt doch sehr ungewisse Zukunft zu spekulieren. Die Mitarbeiter dieser Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand: Sie stellen einerseits eigene Überlegungen bezüglich ihrer Beschäftigungsfähigkeit und ihrer legitimen Ziele an. Andererseits sehen sie, dass ihr Arbeitgeber die Strukturen, an die sie sich damit wenden könnten, abbaut.
Schlussfolgerung: Der Ball liegt bei Ihnen!
Der beste Weg, um diese Art von Dichotomie zu bewältigen, besteht im Endeffekt darin, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Wer nicht schwer enttäuscht werden will, darf heutzutage nicht mehr auf Hilfe durch ein Wohlfahrtssystem – sei es durch den Staat oder durch die Unternehmen – hoffen.
Wer „Karriere machen“ möchte, sollte in der heutigen Zeit die nachfolgenden Ratschläge beachten.
Seien Sie selbst Akteur der Veränderung
Nehmen Sie sich folgende Lebensweisheiten zu Herzen: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!“ „Es ist immer besser, eine Veränderung selbst herbeizuführen, als ihr zum Opfer zu fallen“. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Damit wird das heutzutage entwickelte Konzept der „Intrapreneurship“ auf das Karrieremanagement übertragen.
Setzen Sie sich ein berufliches Ziel
Es ist unmöglich, voranzukommen, ohne zu wissen, wohin man will. Eine Zukunftsvision, eine Vorstellung dessen, was man erreichen will, sind unerlässlich, um eine Laufbahnplanung erstellen zu können.
Eignen Sie sich ein Verständnis des Marktes an
Wenn Sie eine realitätsnahe Vision entwickeln wollen, müssen Sie die externen Bedingungen, den „state of the art“ und die Konkurrenz kennen.
Bauen Sie Partnerschaften auf
Wenn Sie das Unternehmen, seine Ziele und seine eigenen Einschränkungen verstehen, können Sie „Win-win“-Ansätze vorschlagen. Seien Sie weder zu fordernd noch ein Problemfall, sondern bieten Sie sich dem Unternehmen als mögliche Lösung an.
Bereiten Sie jeden Schritt vor
Bereiten Sie sich auf die Einschränkungen der neuen Stelle vor, überprüfen Sie Ihre Motivation angesichts des zu bezahlenden Preises, bilden Sie sich weiter.
Nutzen Sie jede Chance
Ist ein Karriereplan erstmal erarbeitet, ausgerichtet, umgesetzt... muss ich mich dann daran halten, koste es, was es wolle? Natürlich nicht! Es ist grundlegend, auf Kurs zu bleiben. Gleichzeitig ist es aber wichtig, offen für Unvorhergesehenes und für sich bietende Chancen zu bleiben. Was die Karriere anbelangt, so ist die gerade Linie heutzutage nur noch selten der kürzeste Weg zum Ziel.
Wenn man leitende Kadermitarbeiter vor 30 Jahren nach ihrer beruflichen Laufbahn fragte und sich insbesondere erkundigte, wie sie zu ihrer Stelle gekommen seien, lautete die Antwort fast einstimmig: „50 % gute Diplome, 50 % gute Kontakte und 100 % Arbeit“. Heute sagen uns die meisten etwas anderes, nämlich: „1/3 Kompetenzen, 1/3 Motivation und... 1/3 Glück“. Glück – so nennen die Erfolgreichen eine genutzte Chance!