Glück im Unternehmen?
Artikel erschienen im Career Starter, 13. Ausgabe 2009.

Glück im Unternehmen?

Von Maxime Morand, Leiter Human Resources, und Raphaël Bennour, Projektmanager/ HR-Verantwortlicher, Lombard Odier

Basiert Glück im Unternehmen unweigerlich auf einer überzeugenden, sichtbaren und anerkannten Karriere? Die unter Managern vorherrschende Meinung scheint heute in genau diese Richtung zu gehen:  Die persönliche Verwirklichung des Einzelnen geschieht dabei tatsächlich über die vollständige Übernahme einer beruflichen Rolle und über die Verfolgung einer Karriere. Aber werden wir dadurch wirklich glücklich? Ist es nicht illusorisch, ganz alleine glücklich werden zu wollen? Angesichts dieser Einstellung des „ich.com“ gilt es, die Sache mit ein wenig Abstand zu betrachten!

Jeder Hochschulabgänger erlebt vor seinem Berufseinstieg eine Zeit grosser Ungewissheit: Was erwartet das Unternehmen von mir? Was darf ich vom Unternehmen erwarten? Wie soll ich mich meinen zukünftigen Kollegen gegenüber verhalten? Wie kann ich all das Wissen, das ich während des Studiums erworben habe, einsetzen? Ein Stellenantritt ist kein Zuckerschlecken! Manuela Forno betont, dass dieser Einstieg oft einem „ersten Schock“ gleichkommt1. Man verliert das Vertrauen und den intellektuellen Komfort, die man sich in den Jahren als Student angeeignet hat. Umso wichtiger ist es, dass Berufseinsteiger die Herausforderungen und die Funktions­weise der Berufswelt von Anfang an richtig erfassen. So wird verhindert, dass ihre erste Berufserfahrung innert kurzer Zeit zu einem gescheiterten Experiment mit schwerwiegenden längerfristigen Konsequenzen wird. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn sich jeder einzelne zunächst einiger hartnäckiger Vorurteile entledigt.

Zuoberst auf der Liste dieser vorgefassten Vorstellungen steht zweifellos die Idee der „Karriere“, wie sie sich in den letzten Jahrzehn­ten in Managerkreisen eingebürgert hat. Es ist kein Geheimnis: Wer seinen Wunsch, Karriere zu machen – als Ausdruck schamloser Habgier verstanden – äussert, setzt sich unweigerlich Kritik und harscher Bemerkungen aus. Dies führte dazu, dass unter den Männern und Frauen, die heute in den Gängen der Universitäten, aber auch der Unternehmen anzutreffen sind, nur die Kühnsten es wagen, sich vorsichtig als „ehrgeizig...aber nicht ‚karriereorientiert’ (nein, keine Angst!)“ zu bezeichnen. Diese semantische Veränderung ist bedeutsam. Denn jemanden als „karriereorientiert“ zu bezeichnen, ist heute tatsächlich eine Anschuldigung, eine offensichtliche Beleidigung. Das kommt wohl daher, dass die konzeptuellen Strukturen von früher, die ebendiese Karrieremöglichkeit im Unternehmen als positiven Punkt hervorhoben, ihren Sinn in den postmodernen Organisationen teilweise verloren haben.

Die Karriere: blosse Wunschvorstellung?

Die Erfindung der individuellen Karriere ist das Ergebnis eines langen Rationalisierungsprozesses in der Geschichte der Personalpolitik, der bis in die Zeit der Modernisierung der früheren Fabriken aus der industriellen Revolution zurückgeht. Die Frage nach der Beteiligung des Einzelnen an der Entwicklung des Unternehmens tauchte im 20. Jahrhundert durch die zunehmende Technologisierung der Produktionsverfahren auf. Im Anschluss an eine Reihe von Experimenten unter der Leitung von E. Mayo in den Hawthorne-Werken erfolgte eine sehr viel stärkere Sensibilisierung für die beziehungs­spezifischen und psychologischen Faktoren der Produktivität. So wurde eine Nuancierung der rein technischen Perspektive von Taylor ermöglicht. Später entstand die so genannte „Human-Relations-­Bewegung“, welche die Verbesserung der menschlichen Arbeitsbedingungen definitiv in den Mittelpunkt der gemeinsamen Anliegen stellte.

Nach dem Krieg standen die Unternehmen aber erneut vor einer Herausforderung: dem Trend zu bürokratisch-hierarchischen Modellen. Dabei ging es nicht mehr darum, die wesentlichen Bedingungen für das Wohlbefinden zur Erreichung einer optimalen Produktivität der Arbeiter in der Fabrik zu gewährleisten, sondern es stand mehr auf dem Spiel: Man wollte Modelle schaffen, die eine Betreuung der beruflichen Laufbahn der Angestellten ermöglichten – mittels komplexer und weitläufiger Pyramiden-Strukturen. Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung, so ist der Aufschwung der Rolle des „Personalmanagements“ und später der „Human Resources“ zweifelsohne die Antwort der Unternehmen auf diese neue Herausforderung. Unterstützt durch Verbände, die immer homogener wurden und mehr Leute zusammenführten2, entwickelte sich dieses Berufsfeld nach und nach und nahm zunehmend mehr Platz in den Unternehmen ein.

Die steigende Bedeutung der Human Resources (HR) ab den 1980er und 1990er Jahren lässt sich jedoch nur im Lichte ihrer unerschöpflichen Kreativität erklären: Dienstgrade und Titel, Mitarbeiterschemata, Gehaltsstrukturen und zahlreiche Anreize (incentives), Weiterbildung, Stellen- und Kompetenzmanagement ...diese gesamte Organisation legitimierte die Arbeit der HR-Verantwortlichen und bot ihnen mehr Professionalität, bessere Technik, „wissenschaftlichere“ Ansätze. Vor allem ging es aber darum, mittels dieser Strukturen eine kohärente, wettbewerbsfähige „Karrierebetreuung“ zu gewährleisten, denn dadurch würden die besten Bewerber auf einem von grösserer Konkurrenz geprägten Arbeitsmarkt angelockt und gebunden werden können. Dieses Ziel entwickelte sich schrittweise zur Hauptmotivation der Arbeit der HR-Abteilungen. Nach und nach wurde die Karriere zur dominierenden Grundlage in der Handhabung der Arbeits­beziehungen erklärt. Eines dürfen wir dabei heute jedoch nicht vergessen: Für viele bleibt genau diese Karriere eine Wunschvorstellung!

Die neue Dimension des Leidens bei der Arbeit

Eine „Wunschvorstellung“ deshalb, weil jedes Karriereschema auf einer Logik des Erreichens bestimmter Vorteile und Privilegien und damit verbunden auch auf der Ausgrenzung davon beruht. Wie, wenn nicht durch das Versprechen von etwas „Besserem“ oder von „mehr“, kann man die Beteiligung des Einzelnen im Unternehmen dauerhaft anspornen? Und damit auch diejenigen, die ausgeschlossen sind und dieses „Bessere“ und dieses „Mehr“ nicht beanspruchen können? Tatsächlich macht die Karriere in einem grundlegend hierarchisch organisierten System erst dann Sinn, wenn durch ein Auswahlverfahren eine Differenzierung eingeführt wird. Aber ... gibt es dann nicht die „wenigen Glücklichen“ und ... alle anderen?

In der modernen bürokratischen Verwaltung stehen immer leistungsfähigere Hilfsmittel und stets neue technische Einrichtungen, die alles vereinfachen, zur Verfügung. Dadurch konnte die körperliche und geistige Beschwerlichkeit der Arbeit grösstenteils verringert werden. Doch das Leid eines Teils der Akteure hat sich genau dadurch verzehnfacht, denn die Karrieremöglichkeiten im Unterneh­men sind seltener geworden. In einer Berufswelt, die gemäss dem Soziologen Max Weber von einer im weitesten Sinne protestantischen Arbeitsethik dominiert wird3, stellt sich die Frage: Heisst jemandem eine Karriere vorzuenthalten de facto nicht, ihm jegliche Aussicht auf Selbstverwirklichung zu nehmen? Betrachten wir nur den Anstieg der Veröffentlichungen zur Problematik der Persönlichkeitsentwicklung, den Aufschwung des Coachings, die Zunahme der Mobbingfälle, die Unsicherheit, welche Management­haltung die richtige ist ...all dies sind Zeichen, die auf eine neue Art des Leidens am Arbeitsplatz hindeuten. Bleibt für jeden Absolventen, aber auch für jeden informierten Ange­stellten, die Frage: Gibt es denn keine Chance, bei der Arbeit zumindest teilweise glücklich zu sein? Wenn doch, wie?

Glück im Unternehmens?

Gemäss Aristoteles ist das Streben nach Glück nur im Hinblick auf ein gemeinsames Glück möglich. Für ihn basieren die Regeln für das Erreichen des Glücks in einer Gemeinschaft von Menschen auf der Ethik. Heutzutage ist das Glück fast ausschliesslich auf den einzelnen Menschen ausgerichtet. Meine Selbstverwirklichung, mein Erfolg, meine Zufriedenheit ... das „ich.com“ dominiert. Man lernt, seine Karriere wie eine Marke zu managen: Jeder Mensch ist in erster Linie seine eigene Firma. Aber wie kann man alleine glücklich werden? Der Druck, „Karriere zu machen“, den man sich selbst auferlegt, um so das Glück zu erreichen, ist beängstigend, um nicht zu sagen „giftig“. Glück im Unternehmen existiert nur im Plural. Von seiner zukünftigen Selbstverwirklichung im Unternehmen zu träumen, heisst, sich einen Erfolg in seinen zukünftigen Arbeits­beziehungen auszumalen. Vom beruflichen Glück zu träumen, heisst, seine Zufriedenheit auf die Arbeit zu projizieren. So wird die Arbeit zu einem gemeinsamen Werk und jede einzelne Handlung ist motiviert.

Unsere Gesellschaft treibt uns dazu, die Menschen mit ihrer Funktion gleichzusetzen. Wir sind unser Beruf, unser Titel, unsere Position. Es gibt keine erfolgreiche Existenz mehr ausserhalb des Berufslebens. Ist das nun Glück? Oder sollte man – wenn das über­haupt noch möglich ist – nur während der Wochenenden und in den Ferien „existieren“?

Eugen Drewermann betont in seiner zutreffenden Analyse der psychologischen Gründe, die einen Menschen dazu bringen, Chef werden zu wollen, dass Organisationen zwingend auf Personen angewiesen sind, die bereit sind, sich „aufzuopfern“, um eine bestimmte Rolle zu übernehmen4. Das Angenehme an einer Rolle liegt darin, dass sie durch ein Pflichtenheft und durch Organigramme eine gewisse Sicherheit bietet. Drewermann betont, dass grosse Organisationen vor allem für Personen attraktiv sind, die das Spektrum ihrer Ängste reduzieren wollen. Eine Rolle schützt vor Risiken, verringert die Ungewissheit und die Zufällig­keit, betäubt gleichzeitig aber die Kreativität und die Offenheit fürs Unbekannte.

Im Grunde genommen misstrauen die Organisationen Personen, die zu stark unabhängig von anderen existieren. Sie ziehen es vor, wenn die Menschen sich damit begnügen, das vorgefasste Szenario durchzuspielen. Besteht Glück also darin, die bestmögliche Rolle zu ergattern, im Sinne der „schönen Rolle“ ganz oben auf einer Hierarchie-Pyramide? Sollte das Glück nicht vielmehr in der ­Ex-istenz (ex sistere: aus sich heraustreten, um ein Risiko einzugehen) liegen – was letztendlich bedeuten würde, dass man diese Organisationen verlässt und Rollen meidet?

Ein guter Buddhist würde sagen, die Basis für das Glück bildet der „Mittlere Weg“, bei dem man zwar Rollen akzeptiert, sie jedoch verwandelt – in eine echte Leidenschaft fürs Leben ...

Machen wir uns auf jeden Fall nichts vor: Der Arbeitsplatz ist ein Ort voller Anstrengungen und Spannungen. Setzen wir nicht aus einer
Perspektive mit scheinbar vernünftiger Distanz unsere ­Energie dafür ein, im Leben erfolgreich sein zu wollen, sondern vielmehr dafür, unser Leben erfolgreich zu bewältigen! Dabei gilt eine Bedingung: „Wohne und wohne nicht in deinem Haus“ (René Char) – bleibe voll und ganz in der Rolle, aber trete gleichzeitig aus ihr heraus!


1 Manuela Forno, Der Schlüssel zur erfolgreichen Integration ins Unternehmen, Master Career Nr. 2.
2 Wie z. B. in Frankreich der Verband der Personaldirektoren ANDRH (Association Nationale des Directeurs des Ressources Humaines)
3 Siehe: Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
4 Siehe: Eugen Drewermann, Kleriker. Psychogramm eines Ideals

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