Zukunftskompetenz „Entrepreneurship“ – zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Artikel erschienen im Career Starter, 15. Ausgabe 2011.

Zukunftskompetenz „Entrepreneurship“ – zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Von Imke Keicher, ikmc, www.ikmc.ch

Sind Sie eine unternehmerische Persönlichkeit? Wenn ja, herzlichen Glückwunsch. Unternehmen werden Sie lieben. Zumindest theoretisch. Kaum eine persönliche Eigenschaft ist heute so nachgefragt wie Unternehmergeist.

Die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen ist von „unternehmerischem Denken und Handeln“ und „Innovationsfähigkeit“ abhängig, da sind sich Unternehmenslenker und ihre Talentscouts einig. Ausserdem prognostizieren nahezu alle Szenarien zur Ent­wicklung der Arbeit einen Anstieg Selbstständiger. Die Zukunftsfrage für Berufseinsteiger und Trendforscher lautet also: Was versteckt sich hinter dem neuen Zauberwort?

Was versteckt sich hinter dem neuen Zauberwort?

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich mich auf die Suche nach der Zukunftskompetenz „Entrepreneurship“ begeben. Ich bin nach Kalifornien ins Silicon Valley, das ­globale Entrepreneur-Epizentrum, gereist und habe in der Schweiz
spannende Unternehmer innerhalb und ausserhalb von Unterneh­mensmauern getroffen. Entstanden ist ein Innovationsbericht jenseits von Kennziffern und Lehrbüchern.

Unternehmer sein – eine Idee, viele Wege

Um zunächst mal eines klar zu stellen: Innovationsfähigkeit und Unternehmertum werden häufig in einem Atemzug genannt, schliesslich treten beide Fähigkeiten gerne im Tandem auf. Es lohnt sich jedoch, zu unterscheiden, findet David Barnett, erfolgreicher Unternehmer aus dem Silicon Valley, der gerade sein zweites Unternehmen aufbaut*: „Innovationsfähigkeit braucht man heute eigentlich in allen Märkten. Vor allem im Bereich Technologie und Internet erleben wir einen solch rasanten Wandel, dass jeder im Unternehmen innovativ sein muss! Aber erst unternehmerischer ‚Spirit’ und ‚Drive’ machen aus Innovationen Wettbewerbsvorteile und Umsätze.“ Eine andere Stimme berichtet: „Geniale Erfinder sind nicht unbedingt geniale Unternehmer. Sie müssen oft ersetzt werden, wenn das Unternehmen wachsen will. Wenn beide Fähigkeiten zusammen fallen, wie bei Bill Gates, Robert Bosch oder Serge Brin, sind alle fasziniert, weil es so selten ist.“ Ob gleichzeitig Gründer und Erfinder oder nicht, in einem Punkt sind sich meine Interviewpartner und die Fachliteratur einig: Unternehmer wollen was bewegen und haben einen aussergewöhnlich starken inneren Antrieb. Untersucht man Unternehmer-Biografien näher, kristallisieren sich drei unterschiedliche Antriebsmodelle heraus.

Motor 1: „Hauptsache Unternehmer sein“

„In den USA ist es nicht unüblich, dass Menschen sagen: ‚Ich will Unternehmer sein’ und noch keine Ahnung haben, in welchem Business oder mit welcher Geschäftsidee.“, erzählt mir einer, der es wissen muss. David Freeze ist hoch bezahlter Anwalt in Palo Alto und zu seinem Klientel gehören Unterneh­mer jeglicher Couleur. Unternehmern, die noch nicht wissen, in welchem Bereich sie tätig werden sollen, rät er, mit Entscheidern zu sprechen und folgende Frage zu stellen: „Nennen Sie mir drei Probleme, für deren Lösung Sie bereit wären, viel Geld zu bezahlen.“

Motor 2: „Tüftler“

In der Schweizer Gründerszene findet man viele junge Unternehmer aus der Kategorie „Tüftler“. Sie sind zu erfolgreichen Unternehmern geworden, weil sie sich leidenschaftlich für eine Problemlösung einsetzen. Hierzu gehört zum Beispiel der Preisträger des diesjährigen ICT Newcomer Awards „Linguistic Search“, ein junges Unternehmen, das eine innovative Software für Matching-Probleme bei der digitalen Namensuche entwickelt hat. Oder Susanne Rosling, die Gründerin von frigeo. Sie ist Unternehmerin geworden, weil sie es schade fand, dass ihre Forschungsergebnisse in ihrem Unischreibtisch versauerten.

Motor 3: „Accidental Entrepreneur“

Gar nicht so selten macht der Zufall Unternehmer. Zum Beispiel dann, wenn traditionelle Berufsbiografien aufgrund von Her­kunft, fehlendem akademischen Hintergrund oder mangelnder Anpassungsfähigkeit versperrt bleiben. Es ist das Phänomen der Aussenseiter, der Unangepassten auf der Suche nach ihrer Chance. Richard Branson gehört wohl in diese Kategorie, denn der Legastheniker und Schulabbrecher hätte kaum einen Arbeitgeber gefunden. Trotzdem: „Unzufriedenheit mit einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ist kein ausreichendes Motiv für eine erfolgreiche Selbständigkeit“, warnt Klaus Tschira, SAP Mit­gründer und Investor, in einem kürzlich in der Wirtschaftswoche erschienenen Interview. Denn „Entrepreneurship“ ist ganz eindeutig vor allem eines: eine Persönlichkeitsfrage.

Welche Eigenschaften brauchen Menschen mit unternehmeri­schen Ambitionen, sei es als Selbstständiger, als Gründer oder als Unternehmer im Unternehmen? Schauen wir uns an, was Unternehmer über Unternehmertum sagen:

  • Durchhaltevermögen, Rückgrat, die psychische Kraft, mit vielen Rückschlägen und wiederkehrender Unsicherheit umzugehen. Das Ziel nicht aus den Augen verlieren und trotzdem flexibel auf die mannigfaltigen Herausforderungen eingehen. Menschen, die Konflikten eher aus dem Weg gehen und ein sicheres, überschaubares Umfeld schätzen, die einfach einen guten Job machen wollen, sollten um unternehmerische Herausforderungen also einen grossen Bogen machen. Genauso wie Menschen, die sich schwer tun, Rückschläge und Niederlagen zu verkraften.
  • Ein dynamisches Selbstbild. Wer Neuland betritt, Men­schen und Märkte bewegen will, wird naturgemäss Fehler machen, viele Fehler. Hierfür ist es hilfreich, ein dynamisches Selbstbild zu haben. Was das bedeutet, hat Carol Dweck sehr nachvollziehbar beschrieben: Ein dynamisches Selbstbild funktioniert wie ein Lernturbo. Es hilft uns, aus Fehlern und Misserfolgen Lernerlebnisse zu machen und gibt uns die Freiheit, neue Felder zu erobern. Ein statisches Selbstbild hingegen schwächt uns, schafft Angst vor Misserfolg, Niederlagen und Gesichtsverlust. Auch deshalb ist der Umgang mit Fehlern für Unternehmen, die schnell wachsen und mit innovativen Dienstleistungen auf den Märkten sind, oft erfrischend entspannt. „Make better mistakes tomorrow“, steht nicht nur auf einem Spiegel im Twitter-Headquarter, es ist nach Auskunft vieler Mitarbeiter auch gelebte Kultur.
  • Verantwortung und Risikobereitschaft. Die Bereitschaft, für eine Idee, ein Geschäft persönlich einzustehen und die Konsequenzen bei Misserfolg umfassend zu tragen. Das mag für einen Selbstständigen oder ein Start Up eine Selbstver­ständlichkeit sein. In grossen Unternehmen ist es vor allem diese Haltung, die „Entrepreneurship“ so attraktiv macht. Nicht zu verwechseln ist diese Eigenschaft jedoch mit reinem Eigennutz. Unternehmertum ohne Verantwortung den Kunden, den Mitarbeitern, Partnern und der Gesellschaft gegenüber hat grosses zerstörerisches Potential.
  • Fluides Denken. Gemeint ist die Fähigkeit, Wissen und Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen kreativ zu ver­knüpfen. Fluides Denken lebt von Vielfalt. Ein breiter Erfah­rungshorizont schafft hier Vorteile. Doch gerade dieser wird in der heutigen Rekrutierungspraxis selten geschätzt. Wer häufig die Branche oder den Arbeitgeber wechselt, gilt als unstet und schwer vermittelbar. Hier klafft eine grosse Lücke zwischen der intellektuellen Einsicht, dass Outside-in Erfah­rungen und Perspektivenwechsel eine essentielle Qualität repräsentieren und dem Verhalten vieler Entscheider.

„Ein echter Unternehmer ist nicht beschäftigungsfähig (truly unemployable)“, so die Überzeugung von Eduardo Dolhun. Auf seine Berufsbiografie trifft das sicher zu. Er ist selbstständiger Mediziner mit Ausbildung an der renommierten Mayo Klinik und gerade dabei, sein eigenes Unternehmen rund um ein von ihm entwickeltes Dehydrationsprodukt aufzubauen. Kaderentwickler in Unternehmen werden dem allerdings nicht so leicht zustimmen. Der „Unternehmer im Unternehmer“ beschreibt das Ziel vor allem von grossen Unternehmen, unternehmerisches Denken und Handeln breit zu etablieren. Dass dabei insbesondere bei sehr durchstrukturierten Unternehmen grosse Zielkonflikte entstehen, ist allen Beteiligten klar, wenngleich das lieber hinter vorgehaltener Hand geäussert wird.

Häufig schrumpft der im Bewerbungsgespräch dargestellte Handlungsspielraum in der Wirklichkeit strategischer top-down Vorgaben mit atemberaubender Geschwindigkeit und die eingeforderte Risikobereitschaft wird nach der ersten Abstrafung bei Fehlern unmerklich gegen eine „Low Risk“-Strategie eingetauscht.

Auch eine unternehmerische Persönlichkeit, da waren sich alle meine Gesprächspartner einig, profitiert von günstigen Rahmenbedingungen, sei es durch die Unternehmenskultur oder nationale Voraussetzungen und Werte. Glaubt man einer aktuellen Studie der Weltbank, die nach günstigen Bedingungen für Unternehmen fragt, liegt die Schweiz auf Platz 27 von 183, die USA auf Platz 5. Und dieses satte Gefühl, in einem unternehmerischen Hotspot zu agieren, spürt man sofort, wenn man mit Entrepreneuren im Valley oder der Bay Area spricht.

Noch sind viele etablierte Unternehmen dabei, herauszufinden, wie viel Unternehmertum in den eigenen Reihen sinnvoll ist. Vielleicht tun sich ehemalige Start Ups da generell etwas leichter. Wer heute ein Start Up wie Twitter oder Memeonic in der Schweiz beobachtet, kann sehen, wie viel „unternehmerische Freiräume“ die Mitarbeiter allein aufgrund der noch nicht gänz­lich etablierten Prozesse und des rasanten Wachstums haben. Dass der unternehmerische Geist auch nach der Gründungsphase nicht verloren gehen muss, beweisen Unternehmen wie Google oder Namics, ein Schweizer Unternehmen der Internetbranche, 1995 als Spin Off der Universität Sankt Gallen gegründet. Bei Namics sind unternehmerische Aktivitäten bei Mitarbeitern willkommen, denn dieser Unternehmergeist wirkt sich positiv auf die Innovationsfähigkeit des eigenen Unternehmens aus. Wenn ein Mitarbeiter sich dazu entschliesst, selbst ein Unternehmen zu gründen, ist das für Namics keinesfalls ein Affront. Und just in case: Die Türen stehen für eine eventuelle Rückkehr weit auf.

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