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Ethik in Unternehmen – mehr als eine Modeerscheinung?
Artikel erschienen im Career Starter, 15. Ausgabe 2010.
Ethik in Unternehmen – mehr als eine Modeerscheinung?
Von Prof. Dr Markus Huppenbauer ,
Geschäftsleiter des Universitären Forschungsschwerpunktes Ethik,
Ethik-Zentrum der Universität Zürich
Darf ein Unternehmen in einem Land investieren, dessen Regierung offensichtlich Menschenrechte verletzt? Darf die Leitung eines Unternehmens Geldsummen anbieten, um einen Auftrag zu erhalten? Gibt es eine Obergrenze für anständige Managerlöhne? Müssen Unternehmen existenzsichernde Löhne bezahlen? Dies sind nur einige der Fragen, die heute in Bezug auf unternehmerisches Handeln diskutiert werden.
Es sind allerdings nicht nur Ethiker/innen oder idealistische Weltverbesserer, welche derartige Fragen stellen. Seit Jahren werden sie vermehrt auch von Unternehmensverantwortlichen aufgenommen. Unternehmen haben begonnen, ethische Codes of Conduct zu formulieren und Programme der Corporate Social Responsibility zu entwickeln. Ist das mehr als eine Modeerscheinung?
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Einerseits gibt es viele Unternehmen und Manager, die erkannt haben, dass es kein vernünftiges Ziel von Unternehmen ist, ausschliesslich den Gewinn zu maximieren oder den Aktienkurs in die Höhe zu treiben. Daneben sei es genauso wichtig, ein gutes Produkt oder eine hervorragende Dienstleistung anzubieten, zufriedene Angestellte und Kunden zu haben oder sich als Teil einer umfassenderen Gemeinschaft zu verstehen. In diesen Unternehmen wird Wert auf eine ethische Unternehmenskultur und auf die moralische Integrität der Mitarbeitenden gelegt. Andererseits entsteht gelegentlich der Eindruck, das Ethikengagement einiger Unternehmen sei opportunistisch. Man spricht von Ethik, weil alle es tun und es heute einfach erwartet wird. Schaut die Öffentlichkeit nicht hin, dann ist Ethik nicht mehr wichtig. Auch die hinter uns liegende Finanz- und Wirtschaftskrise könnte zu derartiger Ethikskepsis Anlass geben: Während ihres Höhepunktes waren die Medien voll mit moralischer Kritik und dem Ruf nach neuen Werten. Kaum hat sich die Situation gebessert, wird es an der Ethikfront jedoch wieder ruhig. Business as usual scheint angesagt, möglichst ohne Einschränkung und Störung durch Ethik.
Ich möchte diese Beobachtungen erst am Schluss meines Beitrages wieder aufnehmen und zunächst einmal fragen, was Ethik denn eigentlich ist.
Ethik als Reflexionskompetenz
Im Zentrum der Ethik stehen zwei Fragestellungen:
- An welchen moralischen Normen und Werten sollen wir uns als Personen oder als Unternehmen in unserem Handeln orientieren?
- Was für ein Mensch will ich sein? Oder: Was für ein Unternehmen wollen wir sein?
Ethiker/innen sind der Ansicht, dass die Beantwortung dieser Fragen nicht einfach Privatsache oder Ausdruck subjektiver Meinungen ist. Sie ist vielmehr Folge gemeinsamen und vernunftgeleiteten Nachdenkens darüber, welche moralischen Normen und Werte für uns alle in unserem alltäglichen, privaten und unternehmerischen, Handeln verbindlich gelten sollen. Und insofern kann man sagen: Ethik ist Reflexion über richtiges Handeln und gerechtes Zusammenleben. Reflexion bedeutet dabei:
- die von uns verwendeten moralischen Normen und Werte (wie Fairness, Ehrlichkeit, Integrität, Loyalität, Respekt usw.) zu klären, und
- nur Positionen zu vertreten, für die es vernünftige, also für andere Menschen einsehbare, Argumente und Gründe gibt.
So gesehen besteht Ethik also nicht darin, mit grossem Engagement Partei für bestimmte Interessen oder Positionen zu beziehen. Ethik als Reflexion ist zunächst ein unparteiisches, analytisches und argumentatives Unterfangen.
Natürlich reflektieren wir im privaten und unternehmerischen Alltag nicht ständig über unser Handeln. Moralische Normen und Werte wie Fairness, Loyalität, Ehrlichkeit und Integrität werden von vielen Menschen ganz selbstverständlich für richtig gehalten. Entsprechend zu leben und zu handeln, ist in vielen alltäglichen Situationen eine Selbstverständlichkeit. Wenn wir also in der Regel auch keine moralischen „Heiligen“ sind, sind wir selten einfach moralische „Schurken“. Es ist ein ökonomistisches Vorurteil, zu behaupten, die Menschen seien nur daran interessiert, ihre eigennützigen Interessen möglichst gut zu bedienen. Menschen sind soziale Wesen und als solche sind sie mit Empathie ausgestattet und bereit zur Kooperation.
Das Gesagte gilt auch in Unternehmenskontexten. Ein Code of Conduct, wie ihn heute viele Unternehmen haben, bringt die erwähnten selbstverständlichen moralischen Normen und Werte explizit zur Sprache. „Ethikprogramme“ setzen diese Normen und Werte im Unternehmen um, häufig mittels Kommunikation und Schulung, aber auch durch Anpassung der Führungs- und Organisationsstrukturen sowie der Unternehmens- oder Abteilungsziele und durch entsprechende Zielvereinbarungen mit den Mitarbeitenden. Das sind positive Entwicklungen.
In unternehmerischen Kontexten kommt meines Erachtens aber die erwähnte kognitive Komponente von Ethik, Ethik als Reflexion, häufig zu kurz. Man denkt schon ans Umsetzen und Handeln, dabei müsste die Situation doch erst mal verstanden und analysiert werden. Oft ist es alles andere als klar, wie wir die alltäglichen, und natürlich auch die in einem Code of Conduct zusammengestellten moralischen Normen und Werte interpretieren sollen und was sie konkret für unser Handeln bedeuten. Niemand bestreitet, dass Fairness ein wichtiger Wert ist. Aber was bedeutet er in konkreten Situationen? Beispielsweise wenn es um die Frage des „gerechten Lohnes“ geht, oder um Fragen der Leistungsbeurteilung und Beförderung. Hier wird Ethik im Sinne einer Reflexionskompetenz benötigt.
Moralische Integrität in ethischen Spannungsfeldern
Berufe, Rollen und Funktionen in Unternehmen bringen vielfältige Spannungsfelder mit sich: „Diesen langjährigen Kunden möchte ich gut beraten, aber das würde bedeuten, ihm vom Kauf eines Produkts, das wir anbieten, abzuraten.“ Oder: „Ich versuche in meinem privaten Umfeld moralisch integer zu sein, aber in meinem geschäftlichen Umfeld ist der Erfolgsdruck für mich als Führungsverantwortlichen so stark, dass das illusorisch ist.“ usw. Derartige ethische Spannungsfelder gehören zum menschlichen Leben und zum unternehmerischen Handeln. Wie aber soll mit ihnen umgegangen werden?
Neben der schon erwähnten ethischen Reflexionskompetenz zur Analyse und Evaluation der Situation benötigt man in Bezug auf ethische Spannungsfelder persönliche und moralische Integrität der Beteiligten. Was ist damit gemeint? Moralisch integre Persönlichkeiten orientieren sich in unterschiedlichen Situationen und Rollen zuverlässig und unbestechlich an übergeordneten, sozialen Werten wie Fairness, Respekt, Loyalität, Ehrlichkeit usw.
Moralisch integer zu sein, ist ein berechtigter Anspruch an Unternehmer/innen und auch an deren Angestellte, die ja primär Sachwalter der Interessen des Unternehmens und seiner Anspruchsgruppen sind. Allerdings ist das, wie schon gesagt, nicht immer einfach und selbstverständlich. Es verlangt Ausdauer, Mut, Geschick und Kreativität, um in ethischen Spannungsfeldern als Unternehmer/in und als Angestellte/r das moralisch Richtige zu tun und moralisch integer zu bleiben. Aber es lohnt sich. Vor diesem Hintergrund hat der Wirtschaftsethiker Robert C. Solomon gesagt: „Good employees are good people.“ Unternehmen und die Gesellschaft können also nur gewinnen, wenn moralische Integrität ein wichtiges Ziel auch in wirtschaftlichen Kontexten bleibt.
Zum Abschluss: Ethik und Einstieg in die Berufswelt
Ob es Unternehmen mit der Ethik ernst meinen und inwieweit entsprechende Engagements mehr als bloss Modeerscheinungen sind und nachhaltig sein werden, das ist eine nur schwer zu beantwortende Frage. Meine persönliche Einschätzung sieht so aus: Zunehmend halten Menschen das vermehrte Berücksichtigen moralischer Normen und Werte in wirtschaftlichen Kontexten für wichtig. Sie richten ihr eigenes Handeln als Konsumenten/innen, als Investoren/innen oder als Staatsbürger/innen danach aus. Diese Menschen und mit ihnen immer mehr Unternehmensleitungen sind der Überzeugung, dass wirtschaftlicher Erfolg nur dann nachhaltig sein wird, wenn die von Unternehmensaktivitäten abhängigen oder betroffenen Menschen respektvoll behandelt werden. Je mehr Menschen diese Überzeugung teilen und umsetzen, umso eher ist Ethik mehr als eine Modererscheinung.
Gerade junge Menschen sollten sich deshalb beim Eintritt in die Berufswelt klar machen, worauf sie sich mit einem Arbeitgeber oder Unternehmen einlassen. Da Beruf und Arbeit zentrale Bestandteile eines gelingenden Lebens sind, ist die sorgfältige Auswahl des persönlichen beruflichen Umfeldes von grösster Bedeutung. Relevant ist nicht nur die Höhe des Gehalts, sondern auch die Frage nach den Werten, welche ein Unternehmen lebt und in seinen Produkten oder Dienstleistungen repräsentiert.
Mit der sorgfältigen Auswahl des zukünftigen Arbeitsgebers tragen also auch Berufseinsteiger/innen dazu bei, dass Ethik in wirtschaftlichen Kontexten nachhaltig verankert wird.
Literatur:
Prof. Dr. Markus Huppenbauer hat gemeinsam mit Barbara Bleisch eine leicht verständliche Einführung in die Ethik für Studierende aller Fachrichtungen und Praktiker/innen aus Unternehmen, Verwaltungen und NGOs verfasst: Barbara Bleisch / Markus Huppenbauer, Ethische Entscheidungsfindung: Ein Handbuch für die Praxis, Versus Verlag 2011.