Was man vor einer Entsendung ins Ausland wissen sollte
Artikel erschienen im Career Starter, 15. Ausgabe 2011.

Was man vor einer Entsendung ins Ausland wissen sollte

Von Katrina Burrus, PhD, MCC, www.mkbconseil.ch

Ihr Arbeitgeber entsendet Sie in ein anderes Land. Sie stehen kurz vor der Abreise, können es kaum erwarten und haben gleichzeitig ein wenig Angst. Sie wissen, dass einer der Schlüssel zur erfolgreichen Entsendung darin liegt, richtig mit Ihren eigenen Erwartungen umzugehen. Deshalb möchten Sie gerne wissen, welche Fallen es zu vermeiden und welche Hindernisse zu überwinden gilt. Ausserdem wüssten Sie gerne mehr über die Vorteile einer Entsendung hinsichtlich der Verbesserung Ihrer Führungskompetenzen.

Ein Auslandsaufenthalt löst ein Wechselbad der Gefühle aus. Sie müssen sich anstrengen, um in einer neuen Sprache zu kommunizieren und werden vielleicht merkwürdige Verhaltensnormen oder in Ihren Augen absurde Regeln entdecken, die Sie frustrieren. Ausser, wenn Sie während Ihrer Kindheit bereits regelmässig umgezogen sind und in verschiedenen Ländern gewohnt haben und somit die Anpassung an ein neues Umfeld für Sie ganz normal ist, sollten Sie auf die Hochs und Tiefs des Kulturschocks gefasst sein. Eine Entsendung ins Ausland bewirkt einen Veränderungsprozess, der seine eigenen Besonderheiten aufweist.

Die unterschiedlichen Phasen des Kulturschocks

Ein Kulturschock ist die Schwierigkeit, sich an radikal andere Kulturen anzupassen, wie ein Kind, das eine neue Sprache erlernen und richtige bzw. zu vermeidende Verhaltensweisen in der Gesellschaft neu lernen muss. Dies bedeutet, dass man mit neuen Regeln arbeitet, ohne diese zu kennen. Der Kulturschock kann erst recht unerwartet kommen, wenn die betreffende Person glaubt, es gäbe nur geringe Unterschiede zwischen ihrer eigenen Kultur und derjenigen des Aufnahmelandes. Ein Beispiel: Jemand erwartet, Franzosen und Westschweizer würden sich gleich verhalten, nur weil sie Nachbarn sind und die gleiche Sprache sprechen. Die Expatriierung ist eine Erfahrung, die einen zu viel Demut zwingt, die aber genauso aufregend ist wie ein sportlicher Erfolg.

Der Schock eines Umzugs in ein fremdes Land bedeutet oft, dass man unterschiedliche Phasen durchlebt. Doch nicht alle durchlaufen diese in der gleichen Reihenfolge. Manche tauchen auch nicht lange genug in eine Kultur ein, um diese Phasen wirklich alle kennenzulernen.

Die Touristen

Touristen haben ausschliesslich oberflächlichen Kontakt zur örtlichen Kultur. Wenn Sie zum Beispiel einen Cluburlaub buchen, werden Sie sich höchstwahrscheinlich am Pool sonnen, mit Meeresblick essen oder mit anderen Feriengästen am Strand Volleyball spielen. Doch Sie werden kaum oder gar keine Kontakte zur lokalen Kultur erleben, abgesehen vielleicht von der Teilnahme an einer kulturellen Veranstaltung und von einigen Besuchen auf lokalen Märkten oder in örtlichen Restaurants. Touristen kehren erholt aus den Ferien zurück, ohne jedoch eine bedeutende psychologische Veränderung durchlaufen zu haben. Diese kurze Auslandserfahrung mag ihnen ein Bewusstsein für verschiedene Teile der Welt vermittelt haben, eine Hinterfragung der eigenen Werte und Sichtweisen hat dadurch jedoch nicht statt­gefunden. Auch das Spektrum ihrer Verhaltensweisen im Umgang mit anderen Umständen und Erlebnissen wurde nicht erweitert.

Die Langzeitaufenthalter

Ein längerer Aufenthalt bzw. eine Entsendung führt dazu, dass man mit den Einheimischen und den anderen Expatriates sowohl gesellschaftlich als auch beruflich Kontakte unterhält. Dies erfordert eine aufrichtige Beziehung zu den örtlichen Einwohnern. Dazu gehören z. B. ein Austausch unter aktivem Einbezug der einheimischen Mitarbeiter sowie das Erlernen ihrer Sprache. Ein Entsandter kommt verändert nach Hause und erlebt oft sogar einen umgekehrten Kulturschock, wenn er wieder in sein Land zurückkehrt.

Vor- und Nachteile

Eine Entsendung kann anstrengend sein, sie bietet aber auch ungeahnte Vorteile. Zu nennen sind an dieser Stelle vor allem die Entwicklung einer Entschlossenheit angesichts des Unbekannten, eine verbesserte Fähigkeit zur Problemlösung sowie eine vertiefte Kenntnis der lokalen und internationalen Sitten und Gebräuche. Diese von den multinationalen Unternehmen sehr ge­schätzten Eigenschaften werden Ihnen aus Sicht dieser Firmen bei deren Suche nach Talenten mehr Sichtbarkeit verleihen. Der Preis, den Sie dafür bezahlen, ist der Stress der Konfrontation mit dem Unbekannten und des Erlernens neuer Sitten.

Treu nach dem Sprichwort „Vorbeugen ist besser als Heilen“ stellt sich nun die Frage: Welches sind die möglichen Phasen des Kulturschocks und wie bereitet man sich am besten darauf vor?

Die Honeymoon-Phase

Die erste Phase ist diejenige der Euphorie: Die neue Kultur wird als toll und faszinierend wahrgenommen. Während dieser Zeit macht man viele unterhaltsame Neuentdeckungen – Orte, Personen und Gebräuche. Doch dann holt einen die Wirklichkeit ein: Man tut sich schwer damit, eine Unterkunft zu finden oder eine schwierige Sprache zu beherrschen, oder man fühlt sich völlig ohnmächtig angesichts einer Unmenge neuen Wissens, das es zu erwerben gilt, schon nur, um den Alltag zu bewältigen. Der Eindruck des Neuen verfliegt langsam und ein Gefühl der Frustration macht sich breit. Zu diesem Zeitpunkt erhöht sich der Stress und es beginnt die schwierigste Phase: Die Ernüchterung.

Die Phase der Ernüchterung oder der Krise

Sie tritt dann ein, wenn die Unterschiede zwischen der Kultur des Ursprungslandes und derjenigen des Aufenthaltslandes sichtbar werden und zu einem Unwohlsein führen. Die Euphorie des Honeymoons macht den neuen und unangenehmen Gefühlen der Frustration und der Wut Platz. Gewisse Ereignisse erscheinen einem merkwürdig, beleidigend, ja sogar inakzeptabel. Die Arbeitsleistung nimmt möglicherweise ab, weil man wegen Konzentrationsmangel nicht mehr in der Lage ist, selbst einfache Aufgaben zu erledigen. Anzeichen dieser Phase können zwang­haftes Essen oder Trinken sein, aber z. B. auch ein plötzlicher Sauberkeitsdrang. Der Expatriate fühlt sich niedergeschlagen, allein, bekommt Heimweh und ihm fehlt das unterstützende Umfeld, auf das er sich zu Hause verlassen kann. Wer die örtliche Sprache nicht beherrscht, mag ausserdem Mühe haben, neue soziale Kontakte zu knüpfen. In dieser Phase sollte man auf seine Worte und Handlungen achten, um diplomatische Fehler zu vermeiden, die einem schaden könnten.

In der Ernüchterungsphase ist es gut, wenn ein entsandter Mit­arbeiter durch ein Coaching oder eine anderweitige Unter­stützung betreut wird. Dies kann ihm helfen, die Phase der „Flucht“ und/oder der „Auseinandersetzung“ zu überwinden. Eine Flucht ist es dann, wenn man sich in seine Expatriate-Blase zurückzieht. Einige Menschen sind nicht in der Lage, die ausländische Kultur zu akzeptieren und sich zu integrieren. Sie isolieren sich und ziehen sich aus dem Umfeld ihres Aufnahmelandes zurück, da sie dieses als feindlich betrachten. Ein gutes Beispiel dafür bietet eine junge Engländerin, die jedes Wochenende von Zürich zurück nach London flog und ihr gesellschaftliches Leben in der englischen Hauptstadt fortsetzte. Wenn sie nicht nach London zurückkehrte, schlief sie das ganze Wochenende über, bis sie am Montag morgen wieder zur Arbeit musste. Eine solche „Ghetto-Mentalität“ wird durch die heutigen Technologien unterstützt: Sie erlauben den Expatriates, nur mit Freunden aus ihrem Her­kunftsland zu kommunizieren und isolieren sie, ohne dass sie sich bemühen müssten, auszugehen und sich an ihr neues Umfeld anzupassen.

Eine andere Reaktion wäre eine „Auseinandersetzung“: Ein Entsandter, der wütend und äusserst kritisch gegenüber allen Unterschieden zu seinem Herkunftsland ist und denkt, seine Kultur sei überlegen. Dabei lässt er seinen negativen Klischeevorstellungen und seinem Spott freien Lauf. In einer späteren Entwicklungsphase kann dieser Spott in ein Scherzen über die kulturellen Unterschiede umschlagen.

Die Phase der Ernüchterung kann auf verschiedene Art und Weise zum Ausdruck kommen: Ängstlichkeit, Frustration, Orientierungslosigkeit, Ohnmacht, Reizbarkeit, Stress in der Beziehung, emotionaler und intellektueller Rückzug, kritische Haltung gegenüber dem Aufnahmeland oder auch die Tendenz, sich unter Seinesgleichen zusammenzufinden. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass man einen Kulturschock auch unbewusst erleben kann. Er kann sich direkt bei der Ankunft in einem neuen Land zeigen und die Honeymoon-Phase völlig aufheben. Der Expatriate sehnt sich vielleicht nach dem Essen seines Landes, nach seiner Familie, seinen Freunden, ja selbst nach Dingen, die er vorher in seinem Herkunftsland nicht besonders mochte. Von Zeit zu Zeit traurig zu sein, gehört dazu. Wenn diese Traurigkeit aber in ein Opfergefühl ausufert, wird der Anpassungsprozess behindert. Um den Übergang von der Phase der Krise zur Phase der Erholung zu beschleunigen bzw. zu erleichtern, sollte man sich so viel wie möglich für den neuen Lebensstil und das neue Umfeld interessieren. Auch der Austausch mit Personen, die ähnliche Erfahrungen durchlebt haben, kann dabei helfen, den Abgrund von einer Phase zur nächsten zu überwinden.

Die Phase der Erholung

Nach sechs bis zwölf Monaten entwickeln die entsandten Mit­arbeiter eine neue Routine und wissen, was sie erwartet. Das hilft ihnen, sich in ihr neues Umfeld zu integrieren. Sie beginnen, ihre Fähigkeit zur Problemlösung zu perfektionieren, um sich an die neue Kultur anzupassen; sie nehmen aber auch insgesamt eine positivere Haltung ein. Die Kultur beginnt für sie Sinn zu machen, die negativen Reaktionen nehmen ab. Die eigene Kultur wird schliesslich als eine Weltsicht unter vielen wahrgenommen. Man beginnt, eine Haltung der Selbstreflexion und des klaren Erkennens von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den Kulturen einzunehmen.

Die Phase der Anpassung

Die Phase der Anpassung ist dann erreicht, wenn man sich aktiv am Leben der örtlichen Kultur beteiligt und einem dies leicht fällt. Das bedeutet aber nicht, dass man sich völlig verändert oder sich an alle örtlichen Bräuche und Sitten anpasst. Vielmehr entscheidet der Entsandte selbst, bestimmte Eigenschaften zu übernehmen und andere zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits zahlreiche Veränderungen durchlaufen und ein emotionales wie auch intellektuelles Verständnis für die Kultur des Aufnahmelandes entwickelt. Sein Wahrnehmungs- und Ver­haltensspektrum hat sich erweitert. Die Kultur des Aufnahmelandes wird nicht mehr nach den Normen des Herkunftslandes beurteilt, sondern vielmehr basierend auf mehrfachen kulturellen Referenzrahmen, die man verinnerlicht hat.

Diese Flexibilität, von einem Ansatz zum anderen springen zu können, ist in jedem Verhandlungsprozess entscheidend. Für Unternehmen ist sie als berufliche Kompetenz äusserst wertvoll. Expatriates werden offener für das Entdecken des neuen Umfelds und akzeptieren dieses, anstatt ihm ihre eigenen Regeln oder ihr Fachwissen aufzudrängen. Die Einheimischen neigen so weniger dazu, vom ausländischen Mitarbeiter eingebrachte neue Ideen oder Veränderungen abzulehnen, weil die Projekte zu Gemeinschaftswerken werden.

Empfehlungen

Einer der Schlüssel für eine erfolgreiche Berufserfahrung im Ausland liegt darin, dazuzulernen und sich anzupassen. Gleichzeitig sollte man auf die positiven Aspekte der Unterschiede im Verhalten und in den Gebräuchen achten. Dies bedeutet zunächst, offen und neugierig gegenüber dem neuen Umfeld zu sein, in einer zweiten Phase aber auch, proaktiv zu handeln und sein eigenes Verhalten an die neuen Umstände anzupassen. Wie können Sie sich darauf vorbereiten?

Vor der Abreise

Vor der Entsendung sollten Sie eine spezifische Kultur­schulung absolvieren. Informieren Sie sich über die lokalen Sitten und Gebräuche. Finden Sie heraus, was für eine Bedeutung die einheimischen Feste haben und was für eine Berufskultur das Zielland hat.

Beschaffen Sie sich eine Liste mit Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Coiffeuren, die für Expatriates besonders empfohlen werden. Finden Sie heraus, wo es Supermärkte gibt, die westliche Lebensmittel verkaufen, damit Sie Ihre einheimischen Gerichte essen können, wenn Ihnen danach ist, und nicht auf Ihr Lieblingsshampoo verzichten müssen.

Vor Ort

Finden Sie jemanden, der Ihnen die verschiedenen Viertel der Stadt zeigen kann.

Nehmen Sie am örtlichen Leben teil: Treten Sie Vereinen bei, die Aktivitäten anbieten, die Sie mögen, bemühen Sie sich aktiv, neue Menschen kennenzulernen.

Nutzen Sie die sozialen Medien, um über die Erfahrungen anderer Expatriates zu lesen, die denselben Entsendungsprozess durchlaufen, oder um Einheimische kennenzulernen, die Ihre Hobbys teilen oder die selbst im Ausland gelebt haben. Wenn Sie sich nicht innerhalb der ersten sechs Monate bemühen, neue Aktivitäten aufzunehmen, ist es wenig wahrscheinlich, dass Sie aktiv Schritte unternehmen werden, die für eine schnellere Integration unerlässlich sind.

Vermeiden Sie, wenn möglich, häufige berufliche Reisen, bis Sie sich in Ihrem Aufnahmeland ein wenig eingelebt haben.

Seien Sie bereit, Ihre Komfortzone zu verlassen und seien Sie sich auch bewusst, dass innerhalb einer begrenzten Zeit zahl­reiche Veränderungen auf Sie zukommen. Die Kenntnis der ver­schiedenen Phasen des Kulturschocks wird Ihnen helfen, das Gefühl der Überraschung und den Schock, den Sie in der ersten Zeit der Anpassung erleben mögen, zu verringern. Jeder Mensch erlebt einen Kulturschock anders. Ein Paar kann die verschiedenen Phasen des Kulturschocks zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch­leben, was den Prozess der Anpassung zusätzlich erschwert.

Wer sich an so viel Neues gewöhnen muss, steht stärker unter Stress. Lernen Sie deshalb, mit Ihrem Stress umzugehen, sorgen Sie für ausreichend Schlaf, planen Sie Erholungsmomente und Zeit für sportliche Aktivitäten ein.

Überlegen Sie, was für Sie in Ihrem Land vor Ihrer Abreise wichtig war und übertragen Sie diese Elemente in Ihr neues Umfeld. Solche Anhaltspunkte werden zu Ihren Stabilitätsfaktoren. Sie können diese physisch oder auch nur virtuell mitnehmen, unabhängig davon, wo Sie wohnen werden.

Die Rückkehr

Nach einer Entsendung kehrt ein Mensch meist völlig verändert zurück und hat das Gefühl, er unterscheide sich von seinen Freunden im Vergleich zu früher. Er ist innerlich gewachsen, hat den Kulturschock bestimmt überwunden und seine Entschlos­s­enheit angesichts des Unbekannten sowie seine Fähigkeit, in unerwarteten Situationen Lösungen zu finden, wurden gefestigt. Ein HR-Verantwortlicher bei den Vereinten Nationen sagte mir einmal
Folgendes: „Ich ermutige junge Kader, ins Ausland zu gehen und dort ein Team zu leiten, denn dann sehen sie die unmittelbare Auswirkung ihrer Entscheidungen. Eine schlechte Weisung kann zum Beispiel Flüchtlinge daran hindern, Wasser zu bekommen, oder ihre Sicherheit gefährden. Am Hauptsitz ist die Entscheidung eines führenden Verantwortlichen nur eine unter vielen.“ Ich fragte ihn darauf, worin denn der Vorteil einer solchen Erfahrung bestünde. Er antwortete: „Sie stärkt das Selbstvertrauen und die Führungskompetenz.“

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