Den Einsatz des Fachvorgesetzten im Trainee-Programm beachten
Artikel erschienen im Career Starter, 16. Ausgabe 2012.

Den Einsatz des Fachvorgesetzten im Trainee-Programm beachten

Von Dr. Kerstin Nesemann und Prof. Dr. Norbert Thom Prof. h. c. Dr. h. c. mult., Institut für Organisation und Personal (IOP), Universität Bern

Regelmäßig identifizieren die Anbieter von Trainee-Programmen (TrPr) die zeitliche Überlastung des Fachvorgesetzten als größtes Problem ihres TrPr. Eine großangelegte Studie des IOP untersucht diesen Aspekt (vgl. ausführlicher Nesemann/Thom 2011).

Der jeweilige direkte Fachvorgesetzte ist dem Trainee in der Vermittlung von Wissen und Werten besonders „nah“. Daher lässt sich vermuten, dass sein Einsatz, definiert als Zeit, die er für Kommunikation und Interaktion mit dem Trainee aufwendet, einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg des TrPr hat. Ergebnisse aus über 20 Jahren empirischer Forschung des IOP in Deutschland und der Schweiz stützen diesen Zusammenhang. Seit 1987 identifizieren die TrPr-Verantwortlichen fast immer die zeitliche Überlastung des Vorgesetzten als größtes Problem für den Ablauf ihres TrPr.

Die Wirkung des Vorgesetzten auf die Sozialisation der Trainees ist erheblich. Zum ersten kann der Trainee Werte und Verhalten durch „Lernen am Modell“ erkennen und „nachahmen“ (vgl. Bandura 1979). Der Trainee strebt nach vergleich­barer Autorität und Verantwortung und identifiziert sich mit dem Vorgesetzten (vgl. Kram 1985: 33). Die dabei gewonnenen Informationen dienen als Hand­lungsrichtlinie für das eigene Tun (vgl. Bandura 1979: 31). Zum zweiten kam Graen (1976: 1209) zu der Erkenntnis, dass der Vorgesetzte eine wichtige Quelle für Feedback ist, was dem Trainee sowohl beim Erlernen seiner Rolle als auch der Kultur hilft.

Zum dritten argumentiert Fisher (1985), dass der Vorgesetzte eine dreifache Sozialisationswirkung hat. Ein Haupteffekt ist die unmittelbare Wirkung seines Einsatzes
auf die Ergebnisse der Sozialisation. Ein zweiter Haupteffekt besteht in der Wir­kung des Vorgesetzten auf die wahrgenommenen negativen Effekte „[...] such that environmental stressors are either not perceived, or are objectively reduced through the instrumental aid of the supporter.“ (Fisher 1985: 40). Zum Dritten ist ein Moderatoreffekt (Variable wirkt auf beide Merkmale) denkbar, der bewirkt, dass Stress, sofern die Unterstützung des Vorgesetzten vorhanden ist, nicht zu negativen Ergebnissen führt.

Das Engagement des Fachvorgesetzten ist für die Trainees auch zur Erlangung fachlichen Wissens von Bedeutung, welches der Vorgesetzte den Trainees zur Erreichung des Ausbildungsziels vermitteln sollte (vgl. Cordes 2000: 86). Schließlich werden Informationen über Leistung und Potenzial der Trainees (Informationsziel) vor allem durch die Mitarbeiterbeurteilung festgehalten. Diese wird im Rahmen von TrPr oft vom Fachvorgesetzten übernommen. Bei 70,7% der 2009 befragten Schweizer Unternehmen beurteilt dieser den Trainee allein, bei 26,8% zusammen mit der Personalabteilung (vgl. Kloke 2009: 72). Leistung und Potenzial der Trainees können jedoch nur zuverlässig ermittelt werden, wenn der Fachvorgesetzte ausreichend Zeit dafür aufwendet. Für die Befragung konnten 136 TrPr-Anbieter in drei Ländern gewonnen werden (88 in DE, 35 in CH und 13 in AT). Die Überprüfung der Hypothesen wurde anhand zweier Regressions­analysen durch­geführt. Die Ergebnisse der Hypothesentests bestätigen sowohl den positiven Einfluss des Fachvorgesetzten auf das Sozialisations- als auch auf das fach­liche Ausbildungsziel. Der positive Einfluss des Einsatzes des Vorgesetzten auf das Informationsziel ließ sich hingegen statistisch nicht belegen. Eine Ursache könnte sein, dass seine Wirkung auf die Erkennung von Leistung und Potenzial der Trainees für die befragten TrPr-Verantwortlichen nur schwer festzustellen ist (siehe Nesemann 2012).

Obgleich die Problematik der zeitlichen Überlastung des Fachvorgesetzten seit vielen Jahren bekannt ist, wird sie von zahlreichen Unternehmen noch nicht in ausreichendem Maße angegangen. Bei der Auswahl eines TrPr stellt die Tatsache, ob grundsätzlich Informationen existieren, in welchem Maße sich der jeweilige Fachvorgesetzte zeitlich für den Trainee einsetzt, einen ersten Indikator für die Identifizierung des Problems dar. Diese Angaben sind detailliert bisher erst bei 10,40% der antwortenden Unternehmen vorhanden. Daneben existieren vier weitere Ansatzpunkte.

Die Unternehmensleitung kann auf Ebene der wichtigsten Gestaltungsgrößen des Managements die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen. Über die Parameter Ziele, Strategie, Struktur, Prozesse und Kultur existieren vielfältige Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Beispielhaft sei das Zielsystem erwähnt, welches für Beförderungen und Boni relevant ist. Um den Einsatz des Fachvorgesetzten zu unterstützen, wäre es förderlich, neben finanziellen Zielen auch Betreuungs- und Führungsziele zu vereinbaren.

Aufgabe der Fachvorgesetzten ist es, auf Diskrepanzen zwischen gefordertem zeitlichen Einsatz (Soll-Situation) und der Ist-Situation, die ein zielführendes Engagement erschwert, aufmerksam zu machen. Dies hilft der Unternehmensleitung Veränderungen zu veranlassen. Die Fachvorgesetzten müssen sich über die Wichtigkeit ihrer Rolle im TrPr bewusst sein und sich entsprechend verhalten, z. B. durch die zeitweilige Einräumung von Prioritäten für die Betreuung der Trainees gegenüber dem Tagesgeschäft.

Auch die Trainees selbst können dazu beitragen, die für ihre Ausbildung und Sozialisation notwendige Unterstützung zu erhalten. Sie sind meist nicht in der Position, Forderungen zu stellen, jedoch sollten sie offen und wissbegierig gegenüber dem Fachvorgesetzten sein. Es ist ihre Aufgabe proaktiv zu sein, Fragen zu stellen und sich anzubieten. Darüber hinaus wird von ihnen Eigeninitiative erwartet.

Neben ihrer wichtigen Rolle bei der Auswahl der Trainees, hat die Programm-Verant­wortliche weitere Einflussmöglichkeiten. Sie sollte bei der Zuteilung der Fachab­teilungen prüfen, ob der Vorgesetzte ge­nügend Zeit für den Trainee aufwenden kann und will. Sollte dies nicht der Fall sein, darf sie sich nicht scheuen, die Zuteilung eines Trainees abzulehnen. Letzteres setzt natürlich voraus, dass die TrPr-Verantwortliche die notwendige Rück­endeckung von der Unternehmensleitung hat und dass das TrPr im Unternehmen einen gewichtigen Stellenwert im Rahmen der Nachwuchsförderung einnimmt.

Gedankenstützen für Studierende bei der Auswahl eines TrPr:

  • Wird das zeitliche Engagement des Vorgesetzten in irgendeiner Form erhoben?
  • Nach welchen Kriterien werden die einzelnen Stationen des Trainees ausgesucht? Ist dabei das Engagement des Fachvorgesetzten wichtig?
  • Welche Stellung hat die TrPr-Verant­wortliche im Unternehmen?
  • Wie steht die Unternehmensleitung zum TrPr?
  • Ist der Einsatz des Fachvorgesetzten im betrieblichen Anreiz- bzw. Zielsystem verankert?
  • Ergreife ich selbst die Initiative, um Betreuungsleistungen etc. einzufordern?

Jeder (potenzielle) Trainee sollte sich intensiv nach dem Engagement der Fach­vorgesetzten erkundigen und dieses immer wieder ersuchen.
 

Literatur

  • Bandura, Albert (1979), Sozial-kognitive Lerntheorie, Stuttgart.
  • Cordes, Sven Oliver (2000), Einfluss von Lean Management und Business Reengineering auf die Gestaltung von Trainee-Programmen in der Automobilindustrie. Konzeptionelle Grundlagen, Fallstudie und Gestaltungsempfehlungen, Köln.
  • Fisher, Cynthia D. (1985), Social Support and Adjustment to Work: A Longitudinal Study, Journal of Management, 11. Jg., Nr. 3, S. 39-53.
  • Graen, George (1976), Role-Making Processes Within Complex Organizations, Handbook of Industrial and Organizational Psychology, hrsg. v. Marvin D. Dunnette, S. 1201-1245, Chicago.
  • Kloke, Kerstin (2009), Trainee-Programme in der Schweiz. Konzeptionelle Grundlagen – Empirische Erhebung – Entwicklungstendenzen, Arbeitsbericht des IOP Nr. 91, Bern.
  • Kram, Kathy E. (1985), Mentoring at Work. Developmental Relationships in Organizational Life, Lanham/New York/London.
  • Nesemann, Kerstin (2012), Talentmanagement durch Trainee-Programme. Auswirkungen der Gestaltungsmerkmale auf den Programmerfolg, Dissertation am IOP, erscheint 2012 im Gabler-Verlag Wiesbaden.
  • Nesemann, Kerstin/Thom, Norbert (2011), Erfolgreiche Trainee-Programme durch engagierte Fachvorgesetzte. In: PERSONALquarterly, 63. Jg., Oktober, S. 18-22.
  • Thom, Norbert (1987), Personalentwicklung als Instrument der Unternehmungsführung. Konzeptionelle Grundlagen und empirische Studien, Stuttgart.
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