Geben und nehmen – können Netzwerke Ihre Karriere ankurbeln?
Artikel erschienen im Talent Career, N°2, Februar 2012.

Geben und nehmen – können Netzwerke Ihre Karriere ankurbeln?

Von Frédéric Kohler, HR Consultant, Go Top SA, Genf

Immer wieder hört man, wie wichtig Netzwerke sind: Ihre Mitglieder singen ein Loblied darauf, während diejenigen, die nicht dazu gehören, über sie herziehen. Eine Neudefinition des Netzwerks, seiner Funktionsweise sowie seiner Wirksamkeit drängt sich auf.

Das Netzwerk, welches Netzwerk?

Geht man von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes aus, ist ein Netzwerk ein Gitter aus Knoten (Elementen) und Kanten (Verbindungen). Es verfügt als Ganzes über Eigenschaften, welche seine einzelnen Bestandteile nicht aufweisen. Die Netzwerke, die uns an dieser Stelle interessieren, sind soziale Netzwerke. Sie bestehen aus Einzelpersonen und Organisationen (die Knoten), die über Beziehungen und zwischenmenschliche Kommunikation miteinander verbunden sind (die Kanten).

Die wechselseitige Kommunikation ist das Grundelement des Systems, dessen Leistungsfähigkeit von seiner Komplexität,
also von der Zahl seiner Elemente und der Qualität der Kommunikation zwischen diesen abhängt. Ein Mitgliederver­zeichnis allein reicht für die Bildung eines sozialen Netzwerkes nicht aus.

Diese Kommunikation muss allerdings positiver Natur sein. Damit sie nützlich sind, sollte es sich bei den Verbindungen um Beziehungen handeln, die der Unterstützung, Solidarität, Zusammenarbeit oder Integration dienen. Das Netzwerk Ihrer Erzfeinde mag zwar einflussreich und wirksam sein; jedoch nicht für Sie. Die Qualität der positiven Verbindungen im sozialen Netzwerk ist alles in allem von zwei Faktoren abhängig: Dem gemeinsamen Ziel und der einander geleisteten Hilfe.

Das gemeinsame Ziel

Frühere Generationen waren gekennzeichnet von starken Überzeugungen. Auf Basis ihrer gemeinsamen Werte, Ideale und Ziele bildeten sich wirksame Netzwerke. Kirchen, politische Parteien, Gewerkschaften, Schulen, philosophische Runden oder gemeinnützige Vereine waren lange Zeit die einzigen sozialen Netzwerke. Und täuschen wir uns nicht – sie existieren noch heute. Nur, dass es jetzt neben ihnen weitere und wirksamere Netzwerke gibt. Infolge der komplexen modernen Welt, der immer schnelleren Veränderungen und des insgesamt gestiegenen Bildungsniveaus wurden die Weltanschauungen zunehmend unterschiedlicher, was die auf kollektiven Ideologien basierenden Netzwerke schwächte. Um eine Stelle beim Bund zu erhalten, reicht es heute in den seltensten Fällen aus, wenn man jemanden kennt, der den Ständerat XY kennt.

Die geleistete Hilfe

Eine Person, die Ihnen für Ihre Hilfe oder dem Netzwerk für dessen Unterstützung zu Dank verpflichtet ist, wird meistens – selbst wenn sich ab und zu manche undankbar zeigen – viel stärker dazu neigen, Ihnen im Gegenzug zu helfen. Das bekannteste Beispiel sind die Organisationen der ehemaligen Studenten einer Hochschule, die Alumni-Vereinigungen. Personen, die selbst ihre leitende Position dank der Unter­stützung eines Ehemaligennetzwerkes erhalten haben, bieten zweifelsohne eher ihrerseits Unterstützung an.

Was das Karrieremanagement betrifft, ist es eben diese Notwendigkeit eines gemeinsamen Ziels und die mit einer geleisteten Hilfe verknüpfte Verpflichtung zur Gegenseitigkeit, die erklären, warum die neuen sozialen Netzwerke im Internet relativ unwirksam sind. Die Technologie stellt uns mit Netz­werken wie Facebook, Linkedin, Google+, Myspace oder Twitter lediglich neue Vernetzungs- und Kommunikationskanäle zur Verfügung. Die neuen sozialen Netzwerke eignen sich zwar wunderbar als Sprachrohr oder zur Verbreitung von Gedanken (das hat der arabische Frühling gezeigt), aber als Antrieb zur Zusammenarbeit haben sie keine grossen Neuerungen gebracht.

Bleibt also das persönliche Beziehungsnetz. Die Theorie der „Dunbar-Zahl“ besagt, dass es unmöglich ist, mit mehr als 150 Personen stabile Beziehungen zu unterhalten. Diese Grenze gehe mit der Grösse unseres Neocortexes einher und hindere uns daran, mit mehr Personen effizient und langandauernd in Kontakt zu bleiben. Dies bestärkt mich darin, dass es weitaus besser ist, auf ein kleines, eng verbundenes Netz zu setzen, als auf eine riesige Gruppe von Kontakten ohne wirkliche Verbindungen.

Ihr Beziehungsnetz beginnt also mit Ihrer Familie, Ihren Freunden, mit Menschen, mit denen Sie Projekte umgesetzt und Zeit verbracht haben oder denen Sie geholfen haben. Des Weiteren gehören andere Studenten, Ihre Arbeitskollegen aus Praktikumszeiten sowie Ihre Dozenten dazu. Konzentrieren Sie sich nicht verbissen auf das Erreichen einer möglichst hohen Anzahl von Knoten in Ihrem Netz, sondern achten Sie vielmehr auf die Qualität der Verbindungen.

Wie entwickelt man ein wirksames Beziehungsnetz?

Sein Beziehungsnetz zu entwickeln bedeutet, es zu vergrössern, zu vertiefen und zu pflegen. Grundlage dieser drei Tätigkeiten ist ein in der Berufswelt wenig geläufiges Konzept: Das Geben. Einige sprechen auch von Investition, ich bevorzuge jedoch das Wort „Geben“, da die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Umsetzung unentgeltlich erfolgt und innerhalb des Netzes eine bestimmte Dynamik auslöst.

Heute geben …

Geben bedeutet, auf einen wertvollen Besitz zu verzichten, um diesen jemandem anzubieten, ohne dafür eine Gegen­leistung zu erwarten. Der Wert kann dabei verschiedene Formen annehmen: Geld, Ratschläge, Auskünfte, Hilfe, Arbeit ebenso wie gewidmete Aufmerksamkeit oder Zeit.

Damit wirklich etwas gegeben wird, muss der Begünstigte den Empfang formal bestätigen. Eine solche Bestätigung erfolgt meist in Form eines Dankes und beinhaltet einen ersten Schritt, der den Weg für eine Gegenleistung freimacht.

Doch anders als bei Investitionen weiss der Geber im vorliegenden Fall nicht, ob die Gegenleistung tatsächlich erfolgen wird. Er rechnet nicht einmal persönlich damit. Durch eine Geberleistung innerhalb seines Netzwerkes verändert der Geber das Verhalten des Empfängers, der generell seine „Ehrenschuld“ gegenüber einem anderen Mitglied begleichen wird. Dieses wiederum wird dem Netzwerk seinerseits etwas geben. Dieser kreisförmige Kausalzusammenhang bildet die Grundlage von Netzwerken, da es unmöglich ist, ein solches Netz auf dem blossen Prinzip des wechselseitigen Gebens und Nehmens aufzubauen. So ist es das Netzwerk, das profitiert, und die Mitglieder können sich somit darauf verlassen.

Der Ausbau des Beziehungsnetzes bedeutet demnach nicht, seine Kontaktliste zu erweitern, sondern nach und nach mehr zu geben. Das heisst, mehr zu tun, als nur das, was man anderen schuldet, ihnen zu helfen, selbst wenn die Hilfe nicht gefordert wurde, zu geben, wenn ein Geben nötig ist und nicht nur dann, wenn man es gern möchte. Das heisst auch, zu akzeptieren, nicht sofort eine Gegenleistung zu erhalten. Kurzum, es bedeutet, an das Netzwerk und dessen eigentliche Stärke zu glauben, unabhängig von der Qualität der Mitglieder. Sollte in einem intakten Netzwerk jemand das Spiel nicht mitspielen, selbst nicht geben oder berechnend sein und kurzfristig denken, besteht das Risiko nicht allein darin, dass diese Person ausgeschlossen wird, sondern auch darin, dass das gesamte Netzwerk durcheinander gerät und seine Unterstützungskraft einbüsst. Die Aufnahme einer Person in sein Beziehungsnetz beinhaltet demnach, diesem gegenüber eine persönliche Verantwortung zu übernehmen.

... um morgen nehmen zu dürfen

Häufig kann man das Netzwerk, nachdem man selbst viel dafür gegeben hat, für sich um Hilfe bitten. Da das Netzwerk auf gegenseitigem Vertrauen zwischen den Mitgliedern beruht, kann es aber auch sein, dass Sie dank der früheren unent­geltlichen Beiträge der Personen, die Sie eingeführt haben, sofort profitieren dürfen.

Wird das Netzwerk für Sie einen Arbeitsplatz finden oder Ihre Karriere innerhalb einer Organisation fördern? Die Antwort lautet eindeutig: nein. Zum einen, weil es viel über die Ethik eines übertriebenen Einsatzes von „Vitamin B“ zu sagen gäbe und zum anderen, weil das Netzwerk weder Talente noch Verdienste ersetzen kann, sondern lediglich begleitet. Und das ist an sich schon aussergewöhnlich.

Das Netzwerk ermöglicht Ihnen, kostbare Informationen über Unternehmen, offene Stellen, Organigramme, Akteure und Einstellungsverfahren zu sammeln. Gelegentlich wird das Netzwerk sogar an Sie herantreten, um Ihnen eine noch unveröffentlichte Information zukommen zu lassen, wie die Existenz einer freien Stelle oder den Weggang einer Person.
Mit diesen Informationen können Sie bei der Bewerbung nicht nur Ihre Kommunikation verbessern und sich an die Situation anpassen, sondern auch Ihre Reaktionsfähigkeit und sogar Ihr vorausschauendes Denken unter Beweis stellen.

Das Netzwerk erbringt seine grösste Gegenleistung, wenn es eine Empfehlung für Sie ausspricht. Diese Tat ist für Sie besonders kostbar. Nicht nur, dass die Person, die Sie empfiehlt, keine Belohnung dafür erwartet, sie geht auch ein persönliches Risiko ein. Jemandem die Chance zu geben, unter Erwähnung seines Namens bei einem Unternehmen anzurufen, für ihn einen Termin vereinbaren, Unterlagen direkt weiterleiten oder eine positive Beurteilung abzugeben; das sind die Geberleistungen, die den Geber am meisten kosten. Die Person, die dies für Sie macht, begleicht damit nicht nur gegenüber Ihnen oder dem Netzwerk ihre Schuld, sondern zeigt auch ihr Vertrauen in Sie, indem sie für Ihre Qualität garantiert. Nun sind Sie es, der sich erkenntlich zeigen muss, schliesslich gilt es, das Ihnen von der Person und dem Netzwerk entgegengebrachte Vertrauen nicht zu verspielen.

Ein Wort zum Schluss

Ihr heutiges Beziehungsnetz ist vergleichbar mit Ihrem Gemüsegarten. Sie müssen lernen, im Herbst zu säen, um im Sommer zu ernten. Das bedeutet, Unkraut zu jäten, die Erde täglich zu bearbeiten und zu akzeptieren, ohne sich entmutigen zu lassen, dass nicht alle Pflanzen Früchte tragen. Nur wenn Sie bereit sind, diesen Preis zu zahlen, wird Ihnen Ihr Netz das zurückgeben, was Sie ihm gegeben haben und noch mehr. Und im nächsten Herbst ... müssen Sie wieder von vorne anfangen.

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