Ich bin und bleibe beschäftigungsfähig!
Artikel erschienen im Career Starter, 17. Ausgabe 2013.

Ich bin und bleibe beschäftigungsfähig!

Von Serge Panczuk, Vize-Präsident Human Resources und Kommunikation bei Edwards Lifesciences (Europa, Mittel- und Ostafrika, Kanada und Lateinamerika), Dozent an den Universitäten Genf und Paris-Assas und Autor zahlreicher Bücher zum HR Marketing, HR Management, Karrieremanagement und der Net Generation

Man fragt mich oft nach dem Schlüssel zu einem erfolg­reichen Karrieremanagement. Meine Antwort darauf lautet zunächst einmal, dass es kein Patentrezept gibt. Wenn ich es mir aber genauer überlege, kann ich eine aufschlussreichere Antwort geben: Karriere­management heisst, die eigenen Vorlieben zu verstehen, und dafür zu sorgen, dass man immer wählen kann. Letzteres ist entscheidend. Sie kennen vielleicht den Begriff Beschäftigungsfähigkeit. Ein Wort, das ein wenig unmenschlich er­scheinen mag, das jedoch eine ganz einfache Situation um­schreibt. Dies soll im Folgenden genauer erläutert werden.

Beschäftigungsfähigkeit: Modeerscheinung oder echte Grundlage?

Beschäftigungsfähig zu sein, bedeutet in erster Linie, begehrenswert zu sein. Begehrenswert in dem Sinne, dass ein Arbeitgeber Lust hat, Sie einzustellen, Sie zu befördern und in Ihre Weiterentwicklung zu investieren. Es bedeutet aber auch, nein sagen zu können. Sie sollten sich immer wieder von neuem fragen: „Bin ich wirklich glücklich in meinem Job?“ Sind Sie es nicht, fragen Sie sich: „Habe ich eine andere Wahl?“ oder „Bin ich wirklich selber für diese Wahl verantwortlich, oder muss ich auf die Unterstützung der Firma zurückgreifen?“

Eine erfolgreiche Berufslaufbahn hat demnach nichts mit Titeln, Status oder Gehalt zu tun. Ihre Karriere ist dann erfolgreich, wenn Sie sagen können, dass Sie stets die Wahl gehabt haben. Solche Wahlmöglichkeiten finden sich in einfachen Situationen: ein Unternehmen auswählen, frei entscheiden, diesem beizutreten, die Bedingungen bestimmen. Es geht auch darum, eine Berufstätigkeit zu wählen und sich gegebenenfalls für einen Wechsel oder, im Gegenteil, für eine Fortsetzung im ausgeübten Beruf zu entscheiden. Die Liste ist also lang. Einige Ihrer Entscheidungen werden die richtigen sein, andere werden dazu führen, dass Sie Fehler begehen. Aber: Es werden Ihre Entscheidungen sein. Damit verfügen Sie über viel Macht.

Der Begriff „Beschäftigungsfähigkeit“ fasst all dies zusammen. Er beschreibt die Verankerung Ihrer beruflichen Laufbahn. Denn eines ist klar: Die Zeit der linearen, einfachen, lückenlosen Berufslaufbahn ist endgültig vorbei. Beschäftigungsfähig zu sein, ist eine Haltung der ständigen Achtsamkeit.

Wer beschäftigungsfähig sein will, muss einen Dialog herstellen zwischen einer gegenwärtigen und einer zukünftigen, potenziellen Situation. Auf die Frage: „Entspricht meine Arbeit meinen heu­tigen und meinen ZUKÜNFTIGEN Erwartungen?“ muss stets eine zweite folgen: „Wenn ich meinen Job verliere, wie hoch ist meine Fähigkeit, rasch und zu den gleichen Bedingungen eine neue Stelle zu finden?“ Ohne gleich das Schlimmste zu befürchten, sollte die Haltung der Beschäftigungsfähigkeit Ihnen erlauben, Ihre Entwicklung vorauszusehen, indem Sie sich fragen: „Wenn ich vorankommen will, sollte ich dies hier oder anderswo verwirklichen?“ und „Wie hoch ist mein Wert auf dem Markt?“

Wie werde ich „beschäftigungsfähig“?

Beschäftigungsfähigkeit ist also zunächst eine Einstellung, bevor Handlungen folgen. Gehen Sie NIE davon aus, dass eine Situation gesichert ist. Das Rad dreht sich weiter, unabhängig davon, ob Sie erfolgreich sind oder scheitern. Darauf müssen Sie vorbereitet sein. Der grösste Feind der Beschäftigungsfähigkeit ist der Komfort. Dieser Komfort ist in einer Situation sehr schnell erreicht: eine Arbeit, die einem gefällt, ein Gehalt, das den Bedürfnissen entspricht, ein angenehmer Arbeitsort, sympathische Berufskollegen etc. Doch es ist wichtig, zu akzeptieren, dass jede Kompetenz vergänglich ist – heutzutage immer schneller. Komfortable Situationen gibt es nicht mehr. Oder zumindest nur dann, wenn man sie ständig von neuem evaluiert, aufrechterhält oder vertieft, sie also immer wieder auffrischt und weiter­entwickelt.

Beschäftigungsfähig zu sein, heisst schliesslich, alles in seiner Macht stehende zu tun, um sein Umfeld zu verstehen, dessen Reaktionen vorauszusehen und es optimal zu nutzen. Strategien ausfeilen, Handlungsschritte planen und Werkzeuge erarbeiten, die Ihren Karriere- und Entwicklungszielen und der Zufriedenheit am Arbeitsplatz dienen.

Beschäftigungsfähigkeit als Strategie

Unternehmen verändern sich rasch, ent­stehen und verschwinden, bieten Chancen und strukturieren sich neu. Unternehmen sind erfolgreich, scheitern. Unternehmen müssen wachsen, sich manchmal aber auch verkleinern. Diese Bewegungen gab es schon immer. Heute erfolgen sie jedoch rascher denn je. Und sie er­schweren die Steuerung der beruflichen Laufbahn erheblich. Deshalb spricht man heute von der Beschäftigungsfähigkeit.

Um beschäftigungsfähig zu werden, muss man sich zunächst ein Ziel setzen. Das Wichtigste dabei ist, dass dieses Ziel das IHRE ist. Lange Zeit dachten sowohl die Unternehmen wie auch die Angestellten, die Karriere würde vom Unternehmen gesteuert. Dies gilt heute nicht mehr. Ihre Laufbahn, das sind Sie. Ohne klare Vision dessen, was Sie anstreben wollen und können, werden Sie nicht viel erreichen. Ohne zu wissen, wohin Sie gehen wollen, treten Sie an Ort und Stelle ... oder Sie lassen andere an Ihrer Stelle entscheiden ...

Um Ihre Beschäftigungsfähigkeit selber zu planen, müssen Sie – nochmals – einige einfache Fragen beantworten:

  • Was will ich machen? Es geht nicht darum, sich Ihre Situation in zehn Jahren vorzustellen, sondern, sich zumindest auf fünf Jahre hinaus Etappenziele zu stecken.
  • Was kann ich machen? Die Antwort darauf erfordert eine tiefgreifende – und aufrichtige – Analyse Ihrer Kompetenzen.
  • Was will ich nicht machen? Das ist die Tabuzone, die Sie nicht betreten wollen.
  • Was kann ich nicht machen? Hier geht es darum, Ihre Grenzen zu erkennen und anzunehmen.

Ist dieser Schritt gemacht, muss er in konkrete, d. h. greifbare (eine Handlung, eine Stelle etc.), messbare (wie weiss ich, dass ich ein Ziel erreicht habe?) Ziele umgewandelt werden. Diese Ziele müssen erreichbar sein, dürfen also weder zu einfach noch zu schwierig sein. Selbstver­ständlich sind sie nicht unveränderlich, sondern es handelt sich um Etappen einer Laufbahn, die sich entwickeln können.

Werkzeuge entwickeln oder ausfeilen

Um Ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen, sollten Sie in drei Richtungen vorgehen:

  • Ihre Kompetenzen
  • Ihr Beziehungsnetz
  • Ihr Selbstmarketing

Ihre Kompetenzen

Ohne sie ist nichts möglich. Die gute Nachricht ist, dass jeder Mensch über Kompetenzen verfügt und dass er im Laufe seines Lebens immer noch weitere erwerben kann. Das Problem ist, dass diese Kompetenzen sich ver­ändern, dass sie vom Unternehmen nicht immer gleich bewertet werden und dass sie manchmal schwierig zu bestimmen sind.

Als Absolvent begeht man oft den Fehler, zu glauben, die Universität hätte einem Kompetenzen vermittelt. Die Universität hat Sie mit Wissen ausgestattet. Dieses Wissen hat eine relativ kurze Lebensdauer. Die Kompetenz besteht in der praktischen Anwendung dieses Wissens und hängt genauso vom „was ich gemacht habe“ wie vom „wie ich es gemacht habe“ ab.

Im heutigen Unternehmenskontext sind nicht nur Fachkompetenzen gefragt. Im Gegenteil: Die verhaltensbezogenen Kompetenzen sind grundlegend. Sie lassen erkennen, wer Sie sind, wie Sie mit Ihrem Umfeld interagieren, welches Ihre Werte sind. Diese Kompetenzen müssen Sie entwickeln, vertiefen und bereichern. Fachwissen veraltet. Die Fähigkeiten, Einfluss zu nehmen, vor einem Publikum zu sprechen, zu ver­handeln oder ein multikulturelles Projekt zu leiten, sind dauerhafter, greifbarer und anpassungsfähiger.

Wenn Sie sich mit Ihren Kompetenzen beschäftigen, sollten Sie folgende fünf Regeln beachten:

Denken Sie immer prioritär an das, was Sie verwirklicht haben, und nicht so sehr an das, was Sie wissen.

Beschränken Sie Ihre Kompetenzen niemals aufs Fachliche.

Bestimmen Sie fünf Schlüsselkompetenzen und arbeiten Sie an deren ständiger Verbesserung. Es nützt Ihnen mehr, sich in dem, was Sie bereits gut können, zu verbessern, als zu versuchen, in einem Bereich, indem Sie schlecht sind, mittelmässig zu werden ...

Nutzen Sie Ihr Beziehungsnetz, um Ihre Kompetenzen einzuschätzen. Oder bewerben Sie sich regelmässig auf Stellen, um sich an Personal­verantwortlichen zu messen.

Ihr Beziehungsnetz

Ein Beziehungsnetz ist eine Gesamt­struktur von Kontakten, die durch Interessen oder gemeinsame Erfahrungen miteinander verbunden sind. Die Aktivierung dieser Beziehungen erlaubt Ihnen, vertrauliche Informationen oder nützliche Unterstützung zu erhalten, wodurch Sie Ihre beruflichen oder persönlichen Ziele leichter erreichen können. Dank des Beziehungsnetzes sind Sie also in der Lage, Ihre Beschäftigungsfähigkeit vorauszu­sehen, zu kontrollieren und zu messen.

Ein Beziehungsnetz zu pflegen, ist in dieser Hinsicht eine schwierigere Auf­gabe, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Es geht nicht darum, seine Freundesliste zu erweitern, sondern die Kontakte professionell zu pflegen, indem Sie sich Regeln, Prioritäten und Grenzen festlegen. Man spricht diesbezüglich von Networking.

Um effizient zu sein, muss man sich dabei an verschiedene Regeln halten:

Ein Beziehungsnetz darf nur eine beschränkte Grösse haben

Dieser Aspekt ist wesentlich. Ein qualitativ gutes Beziehungsnetz ist stark, und diese Stärke hängt immer damit zusammen, wie solide die Beziehungen zu den Mit­gliedern des Netzes sind.

Ein Beziehungsnetz umfasst unterschiedliche Nähen

Einige Personen stehen Ihnen näher als andere, weil sie Sie besser kennen oder weil Sie ihnen vertrauen. Diese Nähe bestimmt, worum Sie die Mitglieder der verschiedenen „Ebenen“ Ihres Beziehungsnetzes berechtigterweise bitten können.

Ein Beziehungsnetz ist ein dynamisches System, das lebt, wächst, aber auch sterben kann

Sie müssen es deshalb pflegen. Das scheint einfach, setzt aber voraus, dass Sie regelmässig Informationen vermitteln und erbitten, und die Qualität Ihres Netzes beurteilen. Bitten Sie dazu einen Ihrer Kontakte um Hilfe und beobachten Sie seine Reaktion:

  • Er antwortet und hilft Ihnen: Diese Beziehung sollten Sie erhalten und vertiefen.
  • Er antwortet, kann Ihnen aber nicht helfen: Diese Beziehung sollten Sie erhalten.
  • Er antwortet nicht: Versuchen Sie es erneut. Wenn Sie dann immer noch keine Antwort erhalten, legen Sie diese Beziehung vorerst auf Eis.

Natürlich müssen auch Sie Ihrerseits Ihr Bestes tun, um auf die Anfragen Ihrer Kontakte zu reagieren, denn wenn Sie nicht antworten, werden die Mitglieder Ihres Beziehungsnetzes Sie sehr rasch vernachlässigen.

Ein Beziehungsnetz muss kontrolliert werden

Je grösser Ihr Netzwerk, desto schwieriger ist seine Überwachung. Grösse erhöht auch gewisse Risiken. Seien Sie deshalb vorsichtig: Nehmen Sie nicht jede beliebige Person in Ihr Beziehungsnetz auf.

Wenn Sie diese einfachen Regeln befolgen, sollten Sie ein effizientes Beziehungsnetz aufbauen können. Diese Effizienz müssen Sie anschliessend überprüfen.

Ihr Selbstmarketing

Die Strategie Beschäftigungsfähigkeit baut auf Kompetenzen auf und stützt sich auf das Beziehungsnetz. Wenn Sie diese zwei Aspekte erst einmal im Griff haben, können Sie an einer weiteren Dimension arbeiten: der Gestaltung Ihrer Beschäftigungsfähigkeit und der Arbeit an Ihrem Ruf. Es bringt Ihnen gar nichts, beschäftigungsfähig zu sein, wenn Ihre Bemühungen nicht bekannt und aner­kannt werden. Darum geht es beim Selbstmarketing.

Sie müssen Ihre Kompetenzen „vermarkten“. Wie bei jeder Marketingstrategie bedeutet dies zunächst, genau zu bestimmen, WER Sie sind (Kompetenzen, Ziele), bevor Sie festlegen, wie Sie wahrgenommen werden wollen (Ruf, Image), aber auch, welches Ihr Wert ist, (d. h., die Punkte, in denen Sie verhandeln wollen: Gehalt, persönliche Einschränkungen, Managementerwartungen etc.). Es geht nicht darum, sich um jeden Preis hervortun zu wollen, sondern, diejenigen Handlungen und Errungenschaften, die Ihren Erwartungen und Plänen am besten entsprechen, sichtbar zu machen. Das Ziel ist einfach und bleibt stets dasselbe: Sie wollen in den Augen des Arbeitsmarktes „begehrenswert“ und dadurch in einer Position sein, in der Sie ständig auswählen können, also am längeren Hebel sitzen oder zumindest ein Gleich­gewicht herstellen können.

Diese Handlungen können verschiedene Formen annehmen:

Informiert sein

Information ist ein Schlüsselelement der Beschäftigungsfähigkeit. Informationen haben einen unterschiedlichen Grad an Vertraulichkeit und sind leichter oder schwerer zu erhalten. Um sie sich zu beschaffen, müssen Sie die geeigneten direkten Quellen (die Zugriff auf die Information haben) oder indirekten Quellen (die jemanden kennen, der Zugriff darauf hat) bestimmen.

Sich „vermarkten“

Dieser Begriff fasst sämtliche Handlungen zusammen, die darauf abzielen, Ihre Kompetenzen sichtbar und attraktiv zu machen. Es handelt sich aber auch um eine Einstellung. Nehmen wir das Verfassen eines Lebenslaufs als Beispiel: Für die Form und Länge muss man sich Zeit nehmen, und noch mehr Zeit für das Ausfeilen der Lebensgeschichte, die er aufzeichnet. Selbstmarketing stützt sich auf Ihre Stärken und Schwächen, die Sie vorgängig bei der Untersuchung Ihrer Kompetenzen bestimmt haben. Stellen Sie sich – zum Beispiel – folgende Fragen:

  • Welche Kompetenzen möchte ich „publik“ machen?
  • Welches Image von mir selbst sollten meine beruflichen, aber auch ausserberuflichen Tätigkeiten widerspiegeln?
  • Wo ist der rote Faden, der sich durch mein ganzes Handeln zieht?

Einfluss nehmen

Hier geht es darum, sein Beziehungsnetz einzusetzen, um eine Entscheidung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zum Beispiel: Bei einem Einstellungsprozess ist es wichtig, an diejenige Person zu gelangen, welche die Entscheidungen trifft, ihr vertrauliche Informationen zu Ihrer Bewerbung zukommen zu lassen, herauszufinden versuchen, wer die anderen Bewerber sind und was sie für Stärken und Schwächen aufweisen. Einfluss nehmen heisst auch, auf Kontakte zurückzugreifen, die nicht direkt am Prozess beteiligt sind, die aber über genügend Autorität verfügen, um eine Meinung abzugeben. Einflussnahme ist eine Kompetenz, die immer wichtiger wird und mit der man sich ausgiebig beschäftigen sollte.

Schlusswort

Mit diesen Erläuterungen möchte ich Sie davon überzeugen, wie wichtig die Arbeit an der eigenen Beschäftigungsfähigkeit ist. Eine Haltung, die unerlässlich ist, um seine berufliche Laufbahn aufzubauen und weiterzuentwickeln. Genauso wichtig ist sie, um innerhalb eines Unternehmens voranzukommen. Beschäftigungsfähig zu sein bedeutet in erster Linie, dafür zu sorgen, dass man die Wahl hat. Das ist eine Aufgabe, die von jedem einzelnen eine gewisse Disziplin erfordert. Sie haben nun die Wahl, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen oder nicht ... Viel Glück!

share