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Über die Generation Y, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Artikel erschienen im Career Starter, 18. Ausgabe 2014.
Über die Generation Y, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Von Frédéric Kohler,
Leiter des Institut Supérieur de Formation Bancaire (ISFB),
Präsident, Kalaidos Fachhochschule (Westschweiz) – Bank und Finanzwesen
Die Generation Y wird oft als Generation der Zapper dargestellt, die alles sofort und alles auf einmal haben wollen. Heisst das, dass diese jungen Leute eine andere Gehirnstruktur besitzen, Multitasking-fähig und agil, die sie flexibler macht und besser als ihre Vorgenerationen mit Veränderungen umgehen lässt? Können Sie die neuen Zwänge und die Instabilität unserer krisengeplagten Umwelt vielleicht besser ertragen? Die etablierten Entscheidungsträger täten auf jeden Fall gut daran, einzusehen, dass ihre Wunschvorstellungen nicht unbedingt Wirklichkeit sind. Ansonsten leben sie riskant!
Junge Schlitzohren
Ich kann mich noch gut an eine Konferenz im Jahr 2005 über die Unterschiede zwischen den Generationen erinnern. Dort war nicht von X oder Y, sondern von „Cocos“, „Bobos“, „Momos“ und „Yoyos“ die Rede. Bei den Teilnehmern handelte es sich offensichtlich ausnahmslos um Bobos (Bourgeois-Bohème), während kein einziger Yoyo (Young Yobbo – englisch für „junger Rowdy“) im Saal vertreten war. Diese Kategorisierung, die auf den Soziologen Jean-Luc Excousseau zurückgeht, faszinierte mich, auch wenn seine Thesen heute kontrovers diskutiert werden und heftig umstritten sind. Was mich aber schockierte, war die Wortwahl. Denn gegenüber dem sympathischen und relativ positiv besetzten Begriff des Bourgeois Bohème klang bei der Benennung der Generation Y eine herablassende, negative Konnotation im Sinne jugendlicher Schlitzohrigkeit mit. Personalverantwortliche betrachten ein junges Alter grundsätzlich als Schwäche und Schlitzohrigkeit nur selten als Qualitätsmerkmal. So definiert der Duden den Begriff „Schlitzohr“ als jemanden, „der listig, durchtrieben seine Ziele verfolgt“. Zudem hatte mich die Symbolik des „Yo-Yos“ – dieses sprunghaften Objekts, das in ständiger Bewegung ist und doch immer an der „kurzen Leine“ gehalten wird – gelinde gesagt ziemlich gestört.
Flexibilität... sagten Sie Flexibilität?
Auch wenn der Faden eines Yoyos nichts mit der Elastizität eines Kabelmessers gemein hat, suggerieren diejenigen, die sich die Durchsetzung des Ultraliberalismus auf die Fahnen geschrieben haben, dieser Generation seit fünfzehn Jahren, dass ihr Heil in der Flexibilität liege und ihre Zeit schon noch kommen werde.
Trauriger Vorreiter in dieser Angelegenheit ist Grossbritannien, wo gerade der sogenannte Null-Stunden-Arbeitsvertrag, also ein Vertrag ohne feste Arbeitsdauer, sprich: ohne festgelegte Wochenarbeitszeit, zur Regel erhoben werden soll. Zahlen also am Ende die jungen Leute der Generation Y, denen nichts anderes übrig bleibt, als unseriöse Deals zu unterschreiben, den Preis für den aktuellen zaghaften Aufschwung in England? Schliesslich erhalten sie als Gegenleistung dafür, dass sie biegsam wie Schilf sind, oft genug nur den Mindestlohn, und zwar ohne Aussicht auf Besserung. Im August 2013 waren Schätzungen der Regierung zufolge mehr als 250.000 Menschen – ein Plus von 25% im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt – davon betroffen. Die englischen Gewerkschaften sprechen gar von mehr als einer Million solcher Verträge.
Im „florierenden“ Deutschland droht die Anzahl der flexiblen Arbeitskräfte indes geradezu zu explodieren. 6,1 Millionen Menschen müssen dort mit weniger als 450 € im Monat auskommen, die sie mit Aushilfstätigkeiten für einen Stundenlohn von 1 € verdienen! Im Jahr 2013 brauchen fast 3 Millionen Deutsche zwei Jobs, um über die Runden zu kommen (ein Plus von 100% in den letzten zehn Jahren). So mündet Flexibilität in den meisten Fällen nicht in eine für alle vorteilhafte dynamische Wirtschaftsentwicklung, sondern in eine Institutionalisierung von Prekariat und Verarmung, von denen wiederum in erster Linie die Jungen betroffen sind.
Auch Frankreich darf sich in dieser Frage nicht zum Lehrmeister aufschwingen. Indem dort alle jungen Hochschulabsolventen de facto schon seit geraumer Zeit unbezahlte „Pflicht“-Praktika absolvieren müssen, wird die etablierte Generation noch ein Stück weiter aus der Verantwortung für die Wohlstandssicherung entlassen. Stattdessen wird diese Last den Yoyos aufgebürdet. Warum für etwas bezahlen, das man umsonst haben kann?
Und was bleibt schliesslich zu Spanien zu sagen, wo 50% der jungen Absolventen arbeitslos sind, während das Vermögen der reichsten 5% in den letzten sieben Krisenjahren nicht geschrumpft ist?
Die gesamte Führungselite in Europa will uns glauben machen, dass flexible Arbeitnehmer das Allheilmittel gegen die Krise sind. Dass dieselben Personen, die prekären Arbeitsverhältnisse im Namen der Wirtschaftskraft verteidigen, für sich selbst goldene Handschläge aushandeln, wenn sie einen Arbeitsvertrag unterschreiben, mutet ziemlich abstrus an. Flexibilität ja – aber bitte schön für die anderen!
Schilfrohre ja, aber welche mit Grips!
Die Rufe nach dieser (extremen) Flexibilität, die der neu auf den Arbeitsmarkt strömenden europäischen Generation abverlangt wird, haben sich oft genug als reine Augenwischerei erwiesen, die einzig und allein der Besitzstandswahrung für die Bobos dient. Und diese Lüge ist nur eine von vielen: der von den überbordenden Staatsschulden,
dem Defizit in den Rentenkassen, der unaufhaltsamen Umweltverschmutzung, der Ausschöpfung der natürlichen Ressourcen – allesamt Pyramiden-Systeme à la Ponzi, in denen nur die Bobos, die die Pyramide initiiert haben, gewinnen.
Die Yoyos haben das sehr wohl durchschaut und bringen der älteren Generation inzwischen nur ein „sehr begrenztes“ Mass an Vertrauen (wenn nicht gar absolutes Misstrauen) entgegen. Denn ihnen ist klar geworden, dass zum ersten Mal überhaupt – Kriegszeiten und Naturkatastrophen ausgenommen – eine Generation auf der kollektiven Sozialleiter weiter unten steht und eine niedrigere Lebensqualität geniesst als die Vorgeneration. Dieser in der westlichen Welt bislang einzigartige Umstand wird sich zwangsläufig auf die sozialen Beziehungen und die Arbeitsverhältnisse auswirken. Die Bobos – zu denen auch ich gehöre – tragen hierfür die Verantwortung und werden sich schon bald mit den Konsequenzen arrangieren müssen.
Anpassungsfähig und opportunistisch
Nach Charles Darwin überleben nur die anpassungsfähigsten Arten Veränderungen in der Umwelt, nicht die stärksten und auch nicht die intelligentesten. Was wir derzeit beobachten, ist ein für meine Begriffe brutaler, massiver Paradigmenwechsel, der in den kommenden Jahren noch an Fahrt aufnehmen und nur mit einer ordentlichen Dosis Anpassungsfähigkeit zu bestehen sein wird. Doch es dürfte wohl kaum Zweifel daran geben, dass die Generation Y für diese Entwicklung besser gewappnet ist als meine. Die Flexibilität, die wir dieser Generation aufzuerlegen versucht haben, hat sie nicht in die Resignation, sondern in eine empörte Anpassungsfähigkeit getrieben.
Indem sich die Yoyos von der Frustration, die wir ihnen vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise aufbürden wollten, emanzipiert und die passive Flexibilität zum Guten gewandelt haben, nämlich zu einer aktiven Anpassungsfähigkeit, haben sie sich zu Opportunisten entwickelt, die unsere Modelle und Werte ohne Hemmungen in Frage stellen. Was wir ein wenig voreilig als Schlitzohrigkeit bezeichnet haben, ist in Wahrheit nichts weiter als eine Kombination aus Überlebensinstinkt und dem Willen, die Regeln eines Spiels zu ändern, das ihnen gegen den Strich geht und dessen negative Auswirkungen sie nicht länger tragen wollen.
Meine Tochter schliesst gerade ihren Master in Finance am HEC ab, und ihr grösster Traum ist es, für eine Umwelt-NGO in der Antarktis Pinguine zu zählen. Wenn sie morgen jemand fragt, ob sie mit dem WWF ehrenamtlich nach Adélieland gehen will, weiss ich, dass sie diese Gelegenheit ohne zu überlegen beim Schopfe packen und all meine persönlichen Überzeugungen im Hinblick auf die Karriere und den rationalen Umgang mit Risiken und Investitionen über den Haufen werfen wird.
In Spanien ist eine ganze Generation dabei, die Spielregeln zu ändern, indem sie sich empört und eine Auswanderungsbewegung in Gang gesetzt hat, wie es sie seit der Franco-Zeit nicht mehr gegeben hat.
Man muss die Entscheidungen und Verhaltensweisen dieser neuen Generation, die sich anschickt, uns in den Kommandozentralen zu ersetzen, nicht verstehen. Aber fest steht, dass sie für die drastischen Umwälzungen, die uns in vielen Bereichen ins Haus stehen, sehr viel besser gerüstet ist als meine Generation. Denn was diese Generation ausmacht, ist ihre Anpassungsfähigkeit – eine Conditio sine qua non, um das Morgen zu gestalten.
Meine Generation hat keinen Grund, sehr stolz auf das zu sein, was sie für ihre Kinder geschaffen hat. Diese könnten nun, nachdem wir sie zu lange von der Mitbestimmung über unsere Welt ausgeschlossen haben, eine neue erfinden, in der für uns Bobos nur noch wenig Platz bleibt. Und das ist letztlich umso besser, denn wer die Probleme von heute mit Mitteln von gestern bekämpfen will, sät die Sorgen von morgen.