Standortbestimmung als Basis einer erfolgreichen Laufbahnentwicklung
Artikel erschienen im Career Starter, 18. Ausgabe 2014.

Standortbestimmung als Basis einer erfolgreichen Laufbahnentwicklung

Von Prof. Dr. Marc Schreiber, Leiter Zentrum für Berufs-, Studien- & Laufbahnberatung, IAP Institut für Angewandte Psychologie, ZHAW und Stefan Spiegelberg Wissenschaftlicher Assistent, IAP Institut für Angewandte Psychologie, ZHAW

Eine differenzierte Standortbestimmung ist ein wichtiger Schritt in der eigenen Laufbahnplanung. Denn wer sich seiner Interessen, Werte, Kompetenzen und seiner Persönlichkeit im Klaren ist, kann gezielt nach passenden Arbeitsfeldern, Aus- und Weiterbildungen suchen. Die folgenden Hinweise und Fragen unterstützen Sie bei der Selbstreflexion und Exploration der Arbeitswelt. Wichtig: Halten Sie Ihre Gedanken dabei unbedingt schriftlich fest.

Meine Persönlichkeits­eigenschaften: Was für Eigenschaften zeichnen mich aus?

Von Persönlichkeitseigenschaften lässt sich nicht direkt auf konkrete Berufsfelder schliessen: Eine hohe Gewissenhaftigkeit ist nicht automatisch mit einem Job als Buchhalter/in oder Archivar/in verknüpft. Trotzdem geben sie hilfreiche Informationen darüber, in welchem Umfeld sich jemand wohl oder unwohl fühlt. Sanftmütige, eher konfliktscheue Berufsleute werden in einer Führungsposition in einem hart umkämpften Umfeld vermutlich keine Freude verspüren. Dafür zeigen sie ihre Stärken in der Teamarbeit.

Auf der Onlineplattform zur Laufbahndiagnostik finden Sie zwei kostenlose Fragenbogen zur Erfassung der Persönlichkeit (HEXACO-PI-R und MRS-30), welche Sie bei der Selbstanalyse unterstützen. Betrachten Sie die Ergebnisse von Persönlichkeitsfragebogen aber nie als absolute Wahrheit. Fragen Sie sich immer: Passt dieses Persönlichkeitsprofil zu mir? Wo sehe ich mich? Wo sehe ich mich weniger oder gar nicht? Bedenken Sie auch, dass Sie in unterschiedlichen Situationen ganz unterschiedlich reagieren können und dass auch Ihre aktuelle Stimmung Ihr Verhalten beeinflussen kann.

Meine Interessen und Neigungen: Was interessiert mich?

Viele Laufbahntheorien sehen die Interessen und Neigungen einer Person als wichtige Faktoren für die Zufriedenheit im Beruf. Aus diesem Grund sollten sie als zentrale Bestandteile der Standortbestimmung betrachtet werden. Zur Erfassung von Interessen und Neigungen können Sie sich beispielsweise folgende Fragen stellen: Was machen Sie in Ihrer Freizeit besonders gerne? Welche Themen haben Sie in der Schule oder im Studium am meisten interessiert? Welche Zeit­schriften lesen Sie gerne? Versuchen Sie aus diesen Antworten konkrete Interessen abzuleiten. Einen kostenlosen Fragebogen zu Ihren Neigungen (N-29-R) finden Sie ebenfalls auf der Onlineplattform zur Laufbahndiagnostik.

Meine Bedürfnisse und Werthaltungen: Was treibt mich an? Was ist mir wichtig?

Neben den Interessen und Neigungen sind auch Bedürfnisse und Werte sehr wichtige Orientierungspunkte bei der Laufbahn­planung. Sie können als „Motor“ für die Motivation am Arbeitsplatz (und natürlich auch im Privatleben) gesehen werden. Der Mensch strebt nach deren Erfüllung. Beispiele für Bedürfnisse oder Werte sind: Abwechslung, Anerkennung, Sicherheit, Unabhängigkeit, Work-Life-Balance etc.

Zur Erkundung Ihrer Bedürfnisse und Werte können Ihnen folgende Fragen weiterhelfen: Was ist Ihnen bei Ihrer beruflichen Tätigkeit besonders wichtig? Was muss Ihnen ein Arbeitgeber – resp. das Umfeld, in welchem Sie arbeiten – bieten, damit Sie Freude an der Arbeit haben? Was ärgert oder stresst Sie an Ihrer beruflichen Tätigkeit besonders und wie müsste es für Sie stattdessen sein? Falls Sie Schwierigkeiten haben, Ihre Bedürfnisse und Werte zu benennen, kann Ihnen der „Fragebogen zur Erfassung der Karriereorientierungen“ auf der Onlineplattform als Hilfestellung dienen.

Meine Kompetenzen: Was kann ich gut?

Kompetenzen lassen sich in vier Bereiche unterteilen: Fachkompetenz (z. B. Fach­wissen oder Fremdsprachenkenntnisse), Methodenkompetenz (z. B. Lern- und Arbeitstechniken), Sozialkompetenz (z. B. Team- oder Konfliktfähigkeit) und Selbst­kompetenz (z. B. Belastbarkeit oder Flexibilität).
Betrachten Sie Ihre Biographie und erstellen Sie eine Liste mit den für Sie als wesentlich erlebten Aufgaben, z. B. berufliche Tätigkeiten, Aus- und Weiterbildungen, Militär, Vereinstätigkeiten, ehrenamtliche Aufgaben etc. Stellen Sie sich anschliess­end folgende Fragen: Welche Kompetenzen haben Sie sich dort angeeignet? Was konnten Sie (besonders) gut? Was ist Ihnen leicht gefallen? Versuchen Sie Beispiele für alle vier Kompetenzen zu finden und verknüpfen Sie dabei jede Kompetenz mit einer konkreten Erfahrung. Dies hilft Ihnen später bei Bewerbungsge­sprächen.

Meine Berufswelt: Was für Möglichkeiten gibt es in der Berufswelt?

Nachdem Sie ein möglichst klares Bild Ihrer Persönlichkeitseigenschaften, Interessen/Neigungen, Bedürfnisse/Werthaltungen und Kompetenzen haben, geht es in einem nächsten Schritt darum, die Möglichkeiten der Berufswelt auszuloten und im Optimalfall auch gezielt zu explorieren. In der Link­liste am Ende des Artikels finden Sie hilf­reiche Adressen dazu. Wählen Sie schon während der Aus- oder Weiterbildung obligatorische Praktika entsprechend Ihrer Interessen aus und organisieren Sie sich darüber hinaus Schnupperpraktika. Informieren Sie sich über den Arbeitsmarkt, z.  B. auf Jobbörsen, in Jobinseraten, auf Firmenhomepages, in Imagebroschüren oder auch im Gespräch mit Personen, die in diesem Arbeitsfeld tätig sind.

Mein Ziel: Wo möchte ich hin? Was will ich erreichen?

Versuchen Sie auf der Basis der Selbst­reflexion und der ausführlichen Exploration der Arbeitswelt ein mittel- oder langfristiges Ziel zu setzen. Welche beruflichen und privaten Ziele möchten Sie in den nächsten drei bzw. fünf Jahren erreichen? Wollen Sie im angestammten Beruf bleiben, das Berufsfeld wechseln oder eine Weiterbildung besuchen? Welche beruflichen Tätigkeiten würden Ihnen Spass machen und Befriedigung geben?

Es ist vorteilhaft, wenn das gesetzte Ziel und auch die geplante Umsetzung des Ziels möglichst konkret ist: z. B. Systemtechnikingenieur/in in der Informatik oder Bereichsleiter/in in der Pflege eines Spitals. Die Schritte für die Umsetzung eines konkreten Ziels liegen meist auf der Hand. Ist die Umsetzung nicht auf Anhieb möglich, so lohnt es sich, das Ziel nicht vorschnell aufzugeben und Ideen zu sammeln, die allenfalls doch noch zur Umsetzung führen können. Sollten Sie auf mehrere attraktive Optionen stossen, dann versuchen Sie eine mutige Ent­scheidung zu treffen und eine der in Frage kommenden Optionen umzusetzen. Gerade durch die Erfahrung erlangen Sie Gewissheit, ob die gewählte Möglichkeit passt oder nicht. Ein Wechsel zu einer anderen Option ist in den meisten Fällen nicht ausgeschlossen.

Laufbahnentwicklung als lebenslanger Prozess

Identitätsentwicklung – egal ob im Privat- oder Berufsleben – ist ein lebenslanger Prozess. Einzelne Etappen oder Ent­scheidungen sind meist Zwischenschritte auf dem beruflichen Lebensweg mit Abzweigungen und Übergängen. Dabei ändert sich die Berufswelt in der heutigen Zeit rasant. Kompetenzen, die heute
gefordert und nachgefragt sind, werden morgen vielleicht schon nicht mehr benötigt, andere dafür umso mehr. Auch unsere Interessen, Bedürfnisse und gar unsere Persönlichkeit können sich ver­ändern. Im komplexen Zusammenspiel zwischen den Anforderungen und Möglich­keiten der Berufswelt und unseren Bedürfnissen, Kompetenzen und Eigen­schaften ergeben sich immer wieder neue Chancen, aber auch Herausforder­ungen. Für viele geht es nicht mehr darum, einen Beruf für das Leben zu finden, sondern wiederkehrend zu prüfen, ob die eigenen Bedürfnisse und Kompetenzen zur aktuellen beruflichen Situation passen.

Und wenn Sie alleine nicht weiterkommen: Es gibt Fragen oder Themen, bei denen man bei der Laufbahnentwicklung auf eigene Faust nicht weiterkommt. Wenden Sie sich an das Career Center Ihrer Fach­hochschule oder Universität. Ebenfalls hilfreich ist eine Beratung bei einer Fachperson aus der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung.

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