Klar im Vorteil bei der Stellensuche: Ausflug in juristische und psychologische Grundlagen des Einstellungsprozesses
Artikel erschienen im Career Starter, 14. Ausgabe 2010.

Klar im Vorteil bei der Stellensuche: Ausflug in juristische und psychologische Grundlagen des Einstellungsprozesses

Von Steve Binggeli und Valentina Moshek, Doktoranden, HEC Lausannne

Wer ist schon bereit, seine Karriere aufs Spiel zu setzen, indem er sich an ein Spiel wagt, dessen wichtigste Regeln er nicht kennt? Wohl niemand. Und doch – wie gut kennen Sie eigentlich gegenwärtig die Gesetzmässigkeiten, die die Zeit vom Absenden Ihres Dossiers an ein Unternehmen bis zu dem Moment bestimmen, an dem Ihnen dessen Vertreter seine Entscheidung mitteilt?

Die Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages bildet den Endpunkt des Auswahlprozesses. Wer diesen Punkt erreicht hat, dem ist es gelungen, eine Reihe von Prüfungen erfolgreich zu meistern. Genauer gesagt: Während dieser Phase vor der Vertragsunterzeichnung wird in den meisten Fällen Ihr Dossier beurteilt, Sie durchlaufen eines oder mehrere Vorstellungsgespräche, und der Arbeitgeber trifft schliesslich eine Entscheidung. In einigen Fällen müssen Sie sogar verschiedene psychologische Tests über sich ergehen lassen. Zwei unabdingbare Voraussetzungen tragen zum Erfolg dieser verschiedenen Prüfungen bei. Die erste besteht darin, dass Sie für die betreffende Stelle und das jeweilige Unternehmen das erforderliche Kompetenzniveau vorweisen können. Die zweite besteht in der Einhaltung der geltenden Regeln bei der Auswahl der Mitarbeiter. Der vorliegende Artikel befasst sich mit den wichtigsten rechtlichen und psychologischen Regeln, die die Zeit vor dem Abschluss eines Vertrages bestimmen. Ziel dabei ist es, Ihnen aufzuzeigen, welche praktischen Herausforderungen sich daraus ergeben und Ihnen einige Hilfsmittel vorzustellen, damit Sie diese Regeln zu Ihren Gunsten nutzen können.

Erster Schritt: Das Bewerbungsdossier

Jedes Bewerbungsdossier besteht unter anderem aus Arbeitszeugnissen und Referenzen. Ihre früheren Arbeitgeber haben demnach die Möglichkeit, sowohl positiv als auch negativ auf Ihre Einstellung Einfluss zu nehmen. Ihre Macht ist jedoch nicht absolut und muss gewisse Ansprüche erfüllen, die im Arbeitsrecht verankert sind.

Laut Gesetz sind Sie berechtigt, jederzeit ein Arbeitszeugnis zu verlangen, das nicht nur die Art und die Dauer der Arbeitsbeziehungen beschreibt, sondern auch die Qualität der geleisteten Arbeit und Ihr Verhalten. Grundsätzlich muss dieses Zeugnis „wohlwollend“ verfasst sein, um das wirt­schaftliche Fortkommen des Arbeitnehmers zu begünstigen. Dennoch dürfen und müssen darin auch negative Tatsachen und Einschätzungen genannt werden, sofern deren Erwähnung gerechtfertigt ist. Sind solche negativen Beurteilungen zu befürchten, hat der Mitarbeiter stets die Möglichkeit, ein Zeugnis zu verlangen, das aus­schliesslich die Art und die Dauer der Arbeitsbeziehungen umfasst. Die Tatsache, dass das Dokument in diesem Fall keine Hinweise auf die Kompetenzen und Qualitäten des Arbeitnehmers enthält, fällt jedoch einem Rekrutierungsverantwortlichen bestimmt auf. In einer solchen Situation ist es besser, wenn Sie sich im Hinblick auf ein Vorstellungsgespräch überlegen, wie Sie auf Fragen nach Ihrer Beziehung zur Person, die das Zeugnis verfasst hat, antworten wollen.

Sie haben auch das Recht, Ihre früheren Arbeitgeber als Referenzen anzugeben. Dadurch berechtigen Sie diese dazu, einem möglichen zukünftigen Arbeitgeber Informationen über Sie weiterzugeben. Diese müssen wahrheitsgetreu und für den Arbeitgeber, der sie anfordert, von zulässigem Interesse sein. Ausserdem sollten Sie wissen, dass Ihr früherer Arbeit­geber haftet, wenn Ihre Bewerbung aufgrund von unwahren Informationen, die er über Ihre Person weitergibt, fallen gelassen wird. Wählen Sie also die Personen, die Sie in Ihrem Dossier als Referenzen angeben, sorgfältig aus. Diese sollten Sie in Ihrem Vorgehen dadurch unterstützen, dass sie Ihr Profil aufwerten.

Seien Sie sich zudem bewusst, dass durch den Versand Ihres Dossiers ein so genannter psychologischer Vertrag mit Ihrem möglichen zukünftigen Arbeitgeber entsteht. Es handelt sich hierbei um eine Reihe von Erwartungen bezüglich der Bedingungen und Pflichten, die einer beidseitigen Abmachung über einen Austausch zwischen zwei Parteien zugrunde liegen. Konkret heisst das: Die Durchsicht Ihres Bewerbungsdossiers führt beim Rekrutierungsverantwortlichen zu einer Serie von damit verbundenen Erwartungen – z. B. dass die darin ent­haltenen Informationen wahrheitsgetreu sind. Es liegt nun an Ihnen, bei einem Vorstellungsgespräch darauf einzugehen und diese Informationen genauer zu erläutern – selbst wenn Sie eventuell gewisse Erwartungen Ihres Gegenübers enttäuschen müssen. Die Firmenvertreter sollten ihrerseits Ihnen und Ihrer Bewerbung Interesse entgegenbringen und dieses auch zeigen. Eine gesunde Beziehung wird dadurch geprägt, dass sich beide Parteien bezüglich der beidseitigen Versprechen und Verpflichtungen einig sind, jedoch auch von einem gleich hohen Einsatz beider Seiten ausgehen können, um diese Beziehung aufrechtzuerhalten.

Zweiter Schritt: Das Vorstellungsgespräch

Es kann vorkommen, dass Sie bei einem Vorstellungs­gespräch mit so genannten unzulässigen Fragen konfrontiert werden, d. h. mit solchen, die ungerechtfertigterweise Ihre Privatsphäre verletzen. Der Arbeitgeber darf Fragen über Ihre persönliche Situation stellen, doch müssen diese mit den Arbeitsbeziehungen in Zusammenhang stehen, ansonsten können sie als unzulässig erachtet werden. Die Relevanz der Fragen hängt von der Art der Stelle ab. Für psychologische Tests gilt der gleiche Grundsatz. Es wäre z. B. berechtigt, einen Arbeitnehmer zu fragen, ob er für Vermögensdelikte vorbestraft ist, wenn es um eine Stelle im Finanzwesen geht. Ähnlich sind Fragen zu Herkunft, Religion, philosophischen und politischen Überzeugungen nur dann zulässig, wenn sie sich aufgrund der „Ideologie“ des Unternehmens aufdrängen*. Das Problem ist nun aber, in einer solchen Situation richtig zu reagieren. Rechtlich gesehen ist der Arbeitnehmer bei einer unzulässigen Frage berechtigt, darauf hinzuweisen, dass die Frage unangebracht ist und eine Antwort zu verweigern. Man kann sich aber gut vorstellen, dass eine entsprechende Reaktion die Einstellungschancen beim betreffenden Unternehmen mindern würde. Einige Juristen sind deshalb der Ansicht, dass Sie, wenn die gestellte Frage eindeutig unzulässig ist, das Recht haben, unwahre Angaben zu machen.

Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass Bewerber in einer Mehrheit der Fälle riskante Strategien anwenden: Sie tischen während des Vorstellungsgesprächs den Personalver­antwortlichen falsche Informationen auf, um ihre Bewerbung aufzuwerten. Diese Strategien unterscheiden sich in Form und Konsequenzen, wenn sie vom Gegenüber aufgedeckt werden. Wer lügt, indem er Geschichten erfindet, benutzt eine Strategie, von der wir Ihnen klar abraten möchten, denn damit könnten Sie sich in der Folge ins eigene Fleisch schneiden. Bei unzu­lässigen Fragen sollten Sie deshalb eher Methoden anwenden, bei denen Sie gewisse Informationen weglassen, von der eigentlichen Frage ablenken oder zu gewissen Aspekten auf Distanz gehen, die in den Augen Ihres Gesprächspartners als nicht erwünscht er­scheinen könnten. Wenn Sie z. B. über Ihre Meinung zu einem kürzlich in den Zeitungen diskutierten Thema befragt werden, können Sie ganz einfach sagen, Sie verfügten nicht über genügend Informationen, um die Lage zu beurteilen. Anschliessend können Sie Ihr Gegenüber nach seiner persönlichen Meinung zum betreffenden Thema fragen. In einer an der Universität Lausanne durchgeführten Studie über kritische Vorfälle während Vorstellungsgesprächen hat man festgestellt, dass Personalverantwortliche sehr viel negativer reagierten, wenn sie merkten, dass der Bewerber in seinem Lebenslauf gelogen hatte, als wenn er vergessen hatte, darin eine bestimmte Information zu erwähnen. Der Bewerber wurde im ersten Fall als sehr viel unehrlicher beurteilt. Nun ist aber Ehrlichkeit bei der Entscheidungsfindung ein ausschlag­gebendes Element. Eine Lüge – und nicht eine Strategie, die bloss darin besteht, sich von seiner besten Seite zu zeigen – stellt eine Verletzung des psychologi­schen Vertrags und damit einen definitiven Vertrauensbruch für den Arbeitgeber dar. Wenn Sie glauben, eine solche Strategie verwenden zu müssen, um sich aus einer schwierigen Situation zu befreien oder sich aufzuwerten, stellen Sie sicher, dass Sie Ihre Worte wohlüberlegt auswählen.

Dritter Schritt: Der Einstellungsentscheid

Wenn ein Unternehmen beschliesst, einen Bewerber abzu­lehnen, muss es das gesetzliche Diskriminierungsverbot berücksichtigen. Insbesondere das Gesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau besagt, dass es verboten ist, Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts zu diskriminieren, dies vor allem bei der Ein­stellung. Für andere Arten von Diskriminierungen bei der An­stellung, wie z. B. religiöse oder ethnische Diskriminierung, gibt es hingegen keine rechtliche Entsprechung. Wenn Sie glauben, aufgrund Ihres Geschlechts diskriminiert worden zu sein, können Sie vom Arbeitgeber verlangen, seine Ent­scheidung schriftlich zu begründen. Zudem sollten Sie wissen, dass sämtliche im Laufe des Auswahlverfahrens gesammelten Dokumente dem Datenschutzgesetz unterstellt sind. Wenn Sie eine Stelle nicht erhalten, muss Ihnen Ihr Dossier zurück­gesandt und mögliche Kopien davon vernichtet werden. Bewerbungsschreiben, Erge­b­nisse psychologischer Tests und Ähnliches bleiben hingegen im Besitz des Unternehmens.

Fällt der Entscheid des Personalverantwortlichen positiv aus, und Sie haben ein grosses Interesse an der Stelle gezeigt, wird er erwarten, dass Sie sein Angebot annehmen. Wenn Sie sich eine Bedenkzeit erbitten, weil Sie z. B. noch eine Antwort für eine andere Stelle abwarten möchten, sind die Personalverant­wortlichen meistens bereit, Ihnen diese zu gewähren. Achten Sie jedoch darauf, den psychologischen Vertrag, der Sie an Ihren Gesprächspartner bindet, niemals zu verletzen.
Erkennt dieser einen fehlenden Einsatz Ihrerseits, könnte er seine Entscheidung bereuen. Dabei besteht die Gefahr, dass dieses negative Gefühl auch nach der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags anhält und Ihre rasche Integration ins Unterneh­men beeinträchtigt.

Schlusswort

Der vorliegende Artikel bietet selbstverständlich nur einen kleinen Einblick in die komplexe Welt des Auswahl- und Ein­stellungsverfahrens. Ziel ist es, einige wichtige Hinweise für die Beziehungen zwischen Bewerbern und Arbeitgebern zu liefern. Es geht nicht darum, Sie zu ermutigen, Ihre Rechte bis vor Gericht zu verteidigen, sondern Sie über die zugehörigen juristischen und psychologischen Elemente zu informieren, damit Sie sie für sich nutzen können. Wenn Ihnen viel daran liegt, die angestrebte Stelle zu erhalten, ist es in Ihrem eigenen Interesse, intelligente Strategien zu verwenden, damit Ihre Vorgehensweise sich am Ende nicht als Eigentor entpuppt. Letztendlich liegt es an Ihnen, zu entscheiden, in welchem Masse Sie bereit sind, für ein Unternehmen tätig zu werden, das sich bei der Beurteilung Ihrer Bewerbung nicht im strengen Sinne ans Gesetz hält. Wenn Sie den Eindruck haben, Ihre Erwartungen und Werte seien nicht respektiert worden, ist das vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass es andere Unternehmen gibt, die Ihnen besser entsprechen.

*Mehr Einzelheiten finden Sie im „Leitfaden für die Bearbeitung von Personendaten im Arbeitsbereich“ (Download auf: www.edoeb.admin.ch).

share