Internationale Mobilität: Sie hat auch ihren Preis!
Artikel erschienen im Career Starter, 14. Ausgabe 2010.

Internationale Mobilität: Sie hat auch ihren Preis!

Von Frédéric Kohler, Head of Learning & Development, BNP Paribas (Suisse) SA

Mit Sicherheit werden einige unter Ihnen zu den leitenden Kadern von morgen gehören – vielleicht zu den besten Kadern überhaupt, zweifellos jedoch zu den einsatzbereitesten und den mobilsten. Im Zeitalter der Globalisierung scheint es offensichtlich, dass die internationale Dimension eines Bewerbers mit hohem Potential bei der endgültigen Entscheidung eines Unternehmens eine Schlüsselrolle spielt. Doch was bedeutet diese Mobilität, und welche Hindernisse und Einschränkungen können damit verbunden sein?

Kein Zugang zu einer leitenden Funktion ohne internationale Erfahrung

Die wichtigste Eigenschaft einer Führungspersönlichkeit ist ihr Urteilsvermögen. Diese Fähigkeit bedeutet, Risiken und Chancen zu erkennen, und erlaubt der betreffenden Person, eine Vision zu entwickeln und ihren Teams von Managern die Richtung zu weisen. Diese nur schwer greifbare Kompetenz ist es, die den Manager vom Leader, den Kader vom Chef unterscheidet.

In einer globalisierten Wirtschaft, in der auch das kleinste KMU auf den Exportmärkten gegen Konkurrenten aus der ganzen Welt um Kunden aus unterschiedlichen und unbekannten Kulturen kämpft, ist es für ein Unternehmen unerlässlich, an seiner Spitze einen Chef zu haben, der sich diese internationale und kulturübergreifende Dimension vollständig zu eigen gemacht hat. Wer sich für einen solchen Posten bewirbt, kann diese Schlüsselkompetenz am besten darlegen, wenn er in seinem Lebenslauf bedeutende Berufserfahrungen vorweisen kann, die im Ausland erworben wurden.

Die internationale Dimension eines leitenden Kaders wird nicht einfach beschlossen oder durch irgendein Bewertungstool eruiert. Er muss sie in der Praxis unter Beweis stellen, durch erfolgreich ausgeführte Missionen in Ländern, Managerkulturen, sozialen Umfeldern, Sprachen und Praktiken, die sich von seinen eigenen unterscheiden. Diese Missionen müssen zudem von gewisser Dauer sein, mindestens 18 Monate. Ein mehrwöchiger technischer Auftrag oder ein mehrmonatiges Praktikum gelten nicht als Berufserfahrungen im Ausland, die diese internationale Dimension ausreichend beweisen könnten.

Neben den Fähigkeiten, sich in einem fremden kulturellen Rahmen, einem anderen Wertesystem weiterzuentwickeln, Teams mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zu leiten, in einem komplexen Umfeld Entscheidungen zu treffen und Chancen besser zu erkennen – alles Fähigkeiten, die jemand durch seine Berufserfahrungen im Ausland unter Beweis stellt – lernt er durch seine Aufenthalte auch, besser zuzuhören, differenziert zu kommunizieren und ist in der Lage, Veränder­ungen besser umzusetzen und zu begleiten.

Die Einschränkungen der internationalen Mobilität

Wer sich dafür entscheidet, zum Arbeiten ins Ausland zu gehen, sollte sich vorher genau informieren. Internationale Mobilität ist eine Investition, die ihren Preis hat. Verschiedene Arten von Einschränkungen sind damit verbunden.

Finanzielle Einschränkungen stehen an erster Stelle

Oft stellt man sich das Leben von Auswanderern wie eine Art Relikt aus einer neokolonialen Vergangenheit vor, mit gutem Lohn und komfortablen Nebenleistungen wie Unter­kunft, Auto, Hausangestellte etc. Ganz abgesehen davon, dass diese Art von Status vom Aussterben bedroht ist, gilt sie schon seit Langem nur für leitende Kader, die von ihrer Mutterfirma an die Spitze einer Filiale im Ausland versetzt werden. In den meisten Fällen bedeutet die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten, auch bei einem multinationalen Unternehmen, dass man sich mit einer ähnlichen Funktion wie ein Ortsansässiger abfinden muss sowie mit einem Arbeitsvertrag, der die gleichen Bedingungen wie die der Mitarbeiter des betreffenden Landes enthält. Dies kann zu riesigen Unterschieden zwi­schen den einzelnen Ländern und oft zu einer Reduktion des Bruttolohns führen, denn insbesondere Entwicklungsländer benötigen kompetente Fachkräfte aus Europa.

Der zweite Stein, über den man möglicherweise stolpert, ist die Schwierigkeit, mit der sich der Ehepartner konfrontiert sieht, wenn er vor Ort eine Stelle sucht. Dadurch kann sich der Einkommensunterschied, verglichen mit dem Herkunftsland, noch vergrössern.

Im Rahmen eines lokalen Vertrages eine weniger hohe Entloh­nung zu erhalten, ist nicht unbedingt ein Problem, wenn der Lebensstandard in diesem Land entsprechend tiefer liegt. Ein Beispiel: In Kanada sind die Löhne um 30 % niedriger als in der Schweiz,  für die Lebenshaltungskosten gilt jedoch das Gleiche. Wenn man hingegen in der Schweiz eine Immobilie erworben hat und jeden Monat in Schweizer Franken seine Hypothekarzinsen bezahlen muss, kann ein Auslandsaufent­halt bedeuten, dass man die Immobilie verkaufen muss, weil man nicht über das nötige Einkommen verfügt, um die Hypothek abzuzahlen und gleichzeitig im Ausland eine Unterkunft zu mieten.
Schliesslich dürfen auch die Auswirkungen einer in ver­schiedenen Ländern realisierten Karriere auf die zukünftige Rente nicht verheimlicht werden. Es ist nicht immer einfach, zum gegebenen Zeitpunkt all seine Rechte zu erfahren, denn die nationalen Gesetzgebungen behandeln diese Frage äusserst unterschiedlich. Das sollten Sie nicht vergessen, wenn Sie Ihre Entscheidung treffen.

Im Ausland arbeiten, bedeutet auch, sich mit persönlichen Einschränkungen abfinden zu müssen

Die Entscheidung für eine internationale Erfahrung bedeutet für den Ehepartner oft, dass dieser bereit sein muss, seine Karriere zurückzustellen. Es ist nicht einfach, im Ausland eine Berufserfahrung zu erwerben, die für die Karriere vorteilhaft ist. Umso illusorischer ist es, zu hoffen, dass es für beide Partner gleichzeitig klappt.

Auch stellt sich das Problem der Schule für die Kinder. In den meisten grossen Städten gibt es internationale Bildungs­strukturen wie eine Deutsche Schule oder ein International American College. Oft stellt  man jedoch fest, dass die Kinder von Auswanderern einen schulischen Werdegang aufweisen, der relativ durchbrochen und atypisch ist. Selbst wenn viele der betroffenen Kinder zu richtigen Polyglotten werden, be­schliessen ihre Eltern nicht selten, zum Zeitpunkt der wichtigsten Entscheidungen über die Zukunft ihres Kindes – meist beim Erreichen der Gymnasialstufe – in ihr Herkunftsland zurückzukehren.

Ein Leben im Ausland wirkt sich ebenfalls auf das soziale Umfeld aus. Relativ oft findet man sich automatisch als „unfreiwilliges Mitglied der Expat-Gemeinschaft“ wieder. Diese Beziehungen sind vielmals oberflächlich. Da die Menschen nur begrenzte Zeit im Ausland bleiben, ist es nicht möglich, wirk­liche, langfristige Beziehungen von hoher Qualität aufzubauen. Die aufeinanderfolgenden Missionen führen auch zu einem Gefühl der mehrfachen Entwurzelung, was langfristig durchaus schwierig und belastend sein kann. Es sind schon Familien daran zerbrochen, dass ein Ehepartner oder die Kinder zu stark darunter litten.

Berufliche Einschränkungen

Betrachtet man die berufliche Seite des Karrieremanagements, müssen zwei weitere entscheidende Punkte berücksichtigt werden.
Der erste steht im Zusammenhang mit der Dauer und der Anzahl der Auslandsaufenthalte. Ist der Aufenthalt zu kurz, also weniger als 3-4 Jahre, entsteht eine Inkohärenz mit dem klassischen Beschäftigungszyklus (entdecken, lernen, beherr­schen, Leistung erbringen und Neuerungen bzw. Verbesserungen einführen). Der Arbeitnehmer riskiert, die Leistungsphase nie zu erreichen. Wer hingegen mehrere Auslandsaufenthalte aneinanderreiht, wird sich auf eine Art Söldner- oder Missionarsrolle spezialisieren und sich möglicher­weise von den Fachkreisen entfernen.

Der zweite Punkt, der sich als heikel erweisen kann, betrifft die „Rückkehr ins traute Heim“. Es ist relativ klar, wie man seine Berufserfahrung im Ausland bei einer Stellen­suche geschickt einsetzt. Wie man sie aber aufwertet, wenn man im gleichen Unternehmen bleibt, ist nicht un­bedingt gleich offensichtlich. Deshalb macht es einen grossen Unterschied, ob man ins Mutterhaus zurückkehrt oder das Unternehmen wechselt. Manchmal ist es schwieriger, in dieselbe Firma zurückzukehren: Dort trifft man oft auf frühere Kollegen, die einen so in Erinnerung haben, wie man früher war, was die Zusammenarbeit erschweren kann.

Wie steht es mit den Auslandsschweizern?

Der Fall der Auslandsschweizer ist relativ paradox: Sie verfügen über zahlreiche Pluspunkte, um international erfolgreich Karriere zu machen, sind aber auch mit zwei stark bremsenden Faktoren konfrontiert.

Die Schweizer Kader sind meist polyglott (oft zwei- oder sogar dreisprachig), offen für die Vielfalt (zweifellos durch die föderale Struktur des Landes), gut ausgebildet, multi­kulturell ... Mit anderen Worten: Sie sind theoretisch perfekt auf einen oder mehrere lange Auslandsaufenthalte vorbereitet.

Doch wir müssen auch zugeben, dass sie, verglichen mit dem weltweiten Durchschnitt, sehr gut bezahlt sind. Vor allem aber fühlen sie sich „zu wohl in der Schweiz“, einem Land mit einem anerkannt und unleugbar attraktiven Lebensumfeld (Lebensqualität, Sicherheit von Menschen und Gütern, wirtschaftliche, politische und monetäre Stabilität etc.).

Dies wirkt sich dahingehend aus, dass die Schweizer global gesehen in den Geschäftsleitungen grosser Firmen unter­repräsentiert sind. Seltsamerweise gilt das auch für Schweizer Unternehmen. Im Vergleich dazu findet man auf den Chefetagen viele Holländer, Belgier oder Luxemburger, um nur vergleichbare Länder zu nennen.

Mobilität aus organisatorischer Sicht

Die Mobilität ist in erster Linie ein Schritt in der Berufslaufbahn, der auf einem persönlichen Projekt aufbauen muss. Nicht jeder ist für eine solche Erfahrung geschaffen. Man kann sogar sagen, dass es ein richtiges Profil des internationalen Kaders gibt.

Die Erfolgschancen einer Berufserfahrung im Ausland sind grösser für Menschen, die ledig, sehr gut ausgebildet, polyglott, neugierig und ehrgeizig sind und vor allem bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Mit anderen Worten: Men­schen, die in der Lage sind, einzuschätzen, ob die Sache die Mühe wert ist. Ist sie es? Die Antwort auf diese Frage hängt natürlich sowohl von der klaren Vorstellung des beruflichen Projektes als auch von den wahren Beweggründen ab.

Wann?

Natürlich stellt sich die Frage des Zeitpunkts. Manchmal hat man das Gefühl, dass man dann, wenn man möchte, nicht kann, und wenn man endlich kann, dann will man gar nicht mehr ... Eines ist sicher: Die Art und die Bedingungen eines langen Auslandsaufenthaltes unterscheiden sich, je nachdem, wo man zum betreffenden Zeitpunkt im Berufsleben steht.

Die erste Möglichkeit, eine solche Erfahrung zu erwerben, besteht während des Studiums. Es geht nicht bloss um einen Sprachaufenthalt oder ein Unternehmenspraktikum, sondern wirklich um „Leben und Arbeiten im Ausland“. Ihnen stehen dafür zwei Wege offen: Einerseits das europäische Programm für den Studierendenaustausch auf Universitätsebene Erasmus – Sie erinnern sich bestimmt an den Film „L’Auberge espagnole“ von Cedric Clapich – das Ihnen ermöglicht, ein Semester an einer anderen Universität ausserhalb der Schweiz zu absolvieren. Die Teilnahme an diesem Programm ist unbedingt zu empfehlen – für alle, die können! Dank des Bologna-Abkommens und dem ECTS-System ist es inzwischen auch möglich, eines oder mehrere Semester oder sogar im Ausland absolvierte Diplome anerkennen zu lassen. Solche doppelten Diplome sind für Firmen attraktiv und zeigen die erfolgreiche Bewältigung einer internationalen Erfahrung.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, seine Berufslaufbahn im Ausland zu beginnen. Es ist schwierig, ja fast unmöglich, einen Status als „Expat“ – ein von der Firma ins Ausland entsandter Arbeitnehmer – zu Beginn seiner Karriere zu erhalten. Oft ist es hingegen relativ einfach für einen jungen Schweizer Hoch­schulabgänger, in London, Sydney oder Montreal einen Job zu finden. Dies geschieht natürlich über einen örtlichen Vertrag, für kinderlose Personen hat dies aber oft keine Auswirkungen. Eine erste, erfolgreiche, zweijährige Berufserfahrung, selbst zu Beginn der Karriere, verleiht Ihnen für den Rest Ihres Lebens das Etikett „ist wahrscheinlich in der Lage, mit den verschiedensten komplexen Situationen umzugehen“.

In dieser Hinsicht ist Frankreich ein interessantes Beispiel: Schon seit Langem werden dort erste Berufserfahrungen im Ausland aktiv gefördert, mittels VIE-Verträgen (volontaires internationaux en entreprise / Internationale Volontäre im Unternehmen), die einem erlauben, 18 Monate lang in einer ausländischen Filiale eines französischen Unternehmens tätig zu sein. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine grosse Mehrheit der ehemaligen VIE-Mitarbeiter später zu leitenden Kadern in multinationalen französischen Unternehmen aufgestiegen sind.

Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: In der Mitte Ihrer Karriere. Wer Experte auf seinem Gebiet oder Manager geworden ist, vielleicht bereits erwachsene Kinder hat, der profitiert manchmal genauso von einer Versetzung ins Ausland wie vom Absolvieren eines MBA, um die „gläserne Decke“ zu durchbrechen. Dies gilt umso mehr, als es in diesen Situationen oft Ihr Arbeitgeber ist, der den Aufenthalt wünscht und letzterer deshalb unter optimalen Bedingungen ablaufen kann. Das einzige Problem dabei ist, dass, wer die Schweiz in zwanzig Jahren nie verlassen hat, oft keine Lust mehr auf einen Auslandsaufenthalt hat ...

Wie?

Hat man den richtigen Zeitpunkt gewählt, gilt es, sich für ein Land zu entscheiden. Ein Aufenthalt als Pizzaverkäufer im benachbarten Frankreich wird sich natürlich weniger auf Ihren Schweizer Lebenslauf auswirken als eine Erfahrung auf dem Gebiet festverzinslicher Wertpapiere in London oder in einer Spedition in Athen. Neben dem Ort an sich ist auch die Kohärenz des Ortes mit der ausgeführten Arbeit vorrangig. Die richtige Wahl des „place to be“, also des Ortes, der in einem bestimmten Bereich aufgrund der dortigen Expertise den besten Ruf hat, ist grundlegend. Ein im Bereich der Feinchemikalien tätiger Fachmann profitiert von einer Erfahrung in Deutschland genauso wie ein Experte für Aktienmärkte bei einer Entsendung nach New York oder unser Frankreichlieb­haber von einer Tätigkeit im Bereich Gastronomie oder Weinbau, wenn er bei seiner Rückkehr in einer grossen Kette der Schweizer Hotellerie tätig wird.

Ist es besser, eine oder mehrere Erfahrungen im Ausland zu sammeln? Diese Frage bleibt offen. Einige werden eine Karriere mit Auslandsaufenthalten mit der gleichen Ein­stellung in Angriff nehmen wie andere eine diplomatische Karriere. Es ist aber nicht zwingend nötig, mehr als eine erfolgreiche internationale Erfahrung vorweisen zu können, um einen Posten in der Geschäftsleitung zu erhalten. Oft erlaubt z. B. eine einzige drei- oder vierjährige Entsendung in einer verantwortungsreichen Funktion nach Singapur oder Hongkong einem oberen Kader, die Leitung einer Branche oder einer Region zu übernehmen.

Wer sich für die erste Option entscheidet, sollte darauf achten, einen grossen Konzern zu wählen. Die Verwaltung der „Expats“ und ihrer internationalen Karriere erfordert einen umfangreichen logistischen Aufwand, der nur in grossen Firmen möglich ist. Bei BNP Paribas, unserem Unternehmen, versuchen wir, den „Internationalen Nach­wuchs“ der COMEX (Exekutivkomitees) zu identifizieren, auszubilden und an die Firma zu binden. Dazu haben wir wichtige HR-Prozesse zur individuellen Karriere­betreuung geschaffen, damit diejenigen begünstigt und belohnt werden, die es gewagt haben, auf die internationale Mobilität zu setzen.

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